Ein unsittliches Angebot (German Edition)
warfen, den sie Mr Farris hatte abrichten sehen an dem Tag, an dem das Testament verlesen worden war. Ihre Mutter und die Gouvernante saßen auf einer Bank.
Sie blieb stehen und holte tief Luft. Es war nicht zu ändern. Sie hätte sie nicht enterbt, wenn es sich irgendwie hätte vermeiden lassen, aber es hatte einfach keine andere Möglichkeit gegeben.
Mrs James Russell erblickte sie und kam auf die Füße. »Sie haben doch nichts dagegen, dass die Kinder hier spielen? Wir haben aufgepasst, dass sie nicht in die Nähe der Beete gehen.«
»Nicht doch. Die meisten Beete sind sowieso schon abgeerntet.« Ein unangenehmes Schweigen folgte. Was um alles in der Welt sollte sie zu dieser Frau sagen? »Haben Ihre Jungen zu Hause auch einen Hund?«
Mrs James Russell schüttelte den Kopf. »Mr Russell hat Jagdhunde, aber er möchte nicht, dass man mit ihnen spielt oder sie wie Haustiere behandelt. Er sagt, es verdirbt ihren Charakter.«
»Oh. Dieser hier ist eigentlich auch ein Arbeiter, aber das scheint er oft genug zu vergessen.« Das Lächeln, mit dem sie die Bemerkung abschloss, fühlte sich unpassend an, wie ein zu enger Handschuh. »Setzen Sie sich doch. Sie können so lange bleiben, wie Sie möchten.« Hier bedeutete natürlich im Garten, an diesem Tag, an dem sie gerade mit aller Macht Ränke schmiedete, um den Mann dieser Frau mitsamt seiner ganzen Familie loszuwerden.
»Wollen Sie sich nicht auch setzen? Ich hoffe, man hat Sie vor Überanstrengung gewarnt.« Sie errötete hübsch, als sie die schüchterne Ermahnung aussprach. Die Gouvernante stand auf, um näher bei den Jungen zu sein, und Martha musste sich notgedrungen zu ihr setzen.
Schweigend sahen sie den Russell-Söhnen zu. Nach einer Minute hätte sie selbst sagen können, dass sie keinen Hund besaßen. Die Unermüdlichkeit, mit der sie ihn jagten, vor ihm wegliefen und ihn hinter den Ohren kraulten, zeigten ihr ganz deutlich, dass ein Hund für sie etwas völlig Neues war. Ihre fröhlichen Rufe kündeten von solch grenzenloser, ungekünstelter Freude, dass Martha sich immer mehr wie die böse Hexe in irgendeinem Märchen fühlte, die unschuldige kleine Kinder, die sich verlaufen hatten, zum Mittagessen verspeisen wollte.
»Darf ich Sie etwas fragen?« Und dann war da die Mutter, ein schüchterner Schatten von einer Frau, die sich beinahe für alles entschuldigte, was sie zu sagen wagte. Ihre hellblauen Augen erwiderten Marthas Blick nicht, sondern blieben auf den Jungen haften. »Ich glaube, Sie haben heute Vormittag mit meinem Mann gesprochen. Ist etwas vorgefallen?«
Ihr Magen wurde schwer und zerrte gnadenlos an ihrem Herzen. »Nichts Besonderes. Ich wollte ihn nur mit einigen Nachbarn bekannt machen.«
»Ich verstehe. Vielen Dank.« Mrs James Russell stellte keine weiteren Fragen.
Es war besser für sie, die Wahrheit nicht zu kennen. Sie musste ihr Mitleid hintenanstellen und ihren Weg weitergehen. Vermutlich war Mr Atkins soeben dabei, Mr James Russell zur Umkehr zu bewegen. Daran würde sie denken, und hoffentlich würde das den giftigen Beigeschmack, der ihr durch die Adern rann und ihren Körper zersetzte, ein wenig mildern.
Auf dem Weg zurück ins Haus traf sie den Pfarrer. Der Ausdruck priesterlicher Zufriedenheit auf seinem Gesicht verriet ihr seine Neuigkeiten, ohne dass er etwas sagen musste. »Sie haben ihn dazu gebracht, abzureisen.«
»Mrs Weaver hat das getan.« Er lächelte voll großmütiger Bescheidenheit, während er sich den Frack anzog. »Aber ich hoffe, ich habe ihm geholfen, es mehr als sinnvollen Rückzug denn als feige Flucht anzusehen.«
»Dann hat er Ihnen zugehört?«
»Ich bilde es mir jedenfalls ein. Nicht, dass er kurz davor wäre, die Gelübde abzulegen. Aber ein mitfühlendes Ohr kann in diesem Zustand manchmal Wunder wirken.« Er ging Richtung Ausgang, und sie begleitete ihn. Sie hatte noch immer ihren Schal um, sie konnte ein Stück weit mitgehen. »Wir haben alle unsere Sünden begangen, Groß oder Klein, und mit ihnen konfrontiert zu werden, wenn man glaubt, man hätte sie hinter sich gelassen, ist immer eine schwere Prüfung.«
»Sie werden es mir nicht übel nehmen, hoffe ich, wenn ich mir mein Mitleid für die Frauen aufspare, gegen die die Sünden begangen wurden.«
»Das kann Ihnen niemand übel nehmen.« Er neigte den Kopf, als sie durch die Tür traten.
Ein ungebetener Gedanke kam ihr: Was, wenn sie in sechzehn Jahren vor ein ähnliches Gericht gestellt würde wie heute Mr James Russell? Nicht mit
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