Ein unsittliches Angebot (German Edition)
allerdings wie am Tag zuvor, als es sie wie eine schallende Ohrfeige getroffen hatte. Mit der Zeit würde seine Macht weiter schwinden. Das war jedenfalls zu hoffen.
Sie öffnete die Augen wieder und schielte mit gesenktem Kopf auf die andere Seite. Er sah sie nicht an. Er saß heute gerade und aufmerksam da, unauffällig gekleidet, ernst, das Gebetbuch auf der richtigen Seite aufgeschlagen. Niemand hätte ahnen können, dass er ein Mann war, der Frauen auf sonderbare Möbelstücke setzte und erwartete, dass sie daran Gefallen fanden.
Sie konnte keinen Gefallen daran finden. Exotische Liebesakte mit einem ehrlosen Fremden. Das konnte er nicht von ihr verlangen. Aber er konnte wohl erwarten, anständig behandelt zu werden, und das hatte sie zugegebenermaßen versäumt. Beim nächsten Mal würde sie sich besser betragen. Wenn es ein nächstes Mal gab. Sie würde höflich und beflissen sein und alle widerwilligen Gefühle für die Dauer seines Besuchs unterdrücken.
Wenn er sie doch nur ansehen würde! Vielleicht würde sie sogar lächeln, kurz und verstohlen, und er würde wissen, dass er am Nachmittag ein herzlicheres Willkommen erwarten konnte als bisher.
Doch er sah sie nicht an. Nach dem Gottesdienst glitt er aus seiner Bank und wandte sich direkt dem Ausgang zum, ohne sich auch nur ein einziges Mal nach ihr umzudrehen.
Ob er überhaupt kommen würde? Bestimmt – er hatte ja gefragt, ob er sollte – aber was, wenn er nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen war, dass er mit ihr einfach nicht weitermachen konnte?
Sie saß still in ihrer Bank, wiederum die Letzte, die die Kirche verließ. Vielleicht würde Mr Atkins ihr fehlendes Fichu bemerken und befremdet sein. Und recht hätte er! Sie war eine vulgäre, habgierige Frau, die sich dazu herabließ, unbedeckt beim Sonntagsgottesdienst zu erscheinen, in der Hoffnung, die Blicke eines Mannes auf sich zu ziehen. Sie hatte sich erniedrigt, indem sie sich zu solch einem Winkelzug herabgelassen hatte, und hatte nichts durch ihre Erniedrigung gewonnen. So verzweifelt die Tat gewesen war, sie hatte nicht ausgereicht.
Auf dem Heimweg von der Kirche rupfte Theo Blätter von der Hecke, die die Straße säumte, zerpflückte sie und warf sie weg. Irgendwer würde eine Mordsarbeit damit haben, seine Handschuhe wieder sauber zu kriegen. Vielleicht würde er sie vollends ruinieren. Es war ihm erstaunlich gleichgültig.
Er seufzte laut auf und verteilte eine Handvoll zerrupfter Blätter. Sie hatte ihm das eine genommen, in dem er gut war, die Witwe. Das war das Schlimmste an der Sache. Über Misserfolge bei Tätigkeiten, die ihm nichts bedeuteten, konnte Theo lachen, solange er wusste, dass er auf wichtigeren Gebieten ein Virtuose war. Doch wie sollte er sich jetzt noch Selbstachtung entgegenbringen, wo er jeden Tag damit konfrontiert war, wie sie vor seinen geübten Berührungen zurückschreckte? Wenn er kein Mann mehr war, der wusste, wie man Frauen glücklich machte, was war er denn dann überhaupt noch für ein Mann?
Ein Wagen rumpelte hinter ihm heran. Er trat zur Seite und nahm den Hut ab, als eine Bauernfamilie vorbeifuhr, festlich in ihrem Sonntagsstaat und fröhlich, so als wären sie auf einem Vergnügungsausflug und kämen nicht gerade aus einer Predigt über einen Bauern, den beim Feiern seiner guten Ernte der Schlag getroffen hatte. Der Mann und mehrere der Jungen zogen ihrerseits die Hüte. Ein Mädchen winkte und schlug schüchtern die Augen nieder, als er zurückwinkte. Sie sahen bezaubernd aus. Warum konnten nicht solche Leute auf seinem Land leben anstelle der mürrischen Weavers? Doch einige seiner Tagelöhner-Familien hatten durchaus einen angenehmen Eindruck gemacht, und vielleicht würde er sich sogar für die Weavers erwärmen können, wenn er sie näher kennenlernte. Er sollte ihnen wenigstens die Chance geben. Vielleicht sollte er sich heute etwas Mühe mit seinen Verpflichtungen geben, nur um zu sehen, wozu es führte. Wenn er am Nachmittag eine erneute Katastrophe mit Mrs Russell erlebte, konnte er dann vielleicht wenigstens auf anderweitige Erfolge zurückblicken.
Der Plan nahm auf dem Nachhauseweg Gestalt an. Er sollte die Tagelöhner besuchen und ein bisschen nett zu ihnen sein, hatte die Witwe gesagt. So viel konnte er sicherlich kompetent bewerkstelligen. Er ließ sich von der Köchin einige Pakete Rindfleisch und Tee zusammenpacken, sogar ein paar Klumpen Zucker, während er im Haus einige andere Kleinigkeiten zusammensuchte.
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