Ein unsittliches Angebot (German Edition)
Seine wohltätigen Vorsätze beflügelten ihn und brachten ihm nach dem Debakel des Vortags zum ersten Mal Gelöstheit. Er würde diese Leute mit galanter Leutseligkeit für sich gewinnen, und die Kunde davon würde sicherlich an Mr Granvilles Ohr dringen und ihn seinem langfristigen Ziel näher bringen.
Eine Stunde später erklomm er die Anhöhe, auf der die Kate der Weavers stand, und verlangsamte seinen Schritt. Die Besuche waren nicht ganz so verlaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Aber es war ein Anfang gewesen. Man konnte nicht leugnen, dass jede der ärmlichen Hausfrauen seine Päckchen überrascht und dankbar angenommen hatte. Doch auch das hartnäckige Misstrauen, mit dem man ihm begegnete, war unverkennbar. Die Männer waren alle bei der Feldarbeit – das hätte er sich denken können, da die Familien auch nicht in der Kirche erschienen waren – und die Frauen erwiderten seine höflichen Bemerkungen und Erkundigungen zumeist einsilbig und mit augenfälligem Unbehagen.
Nun denn, ein Besuch stand noch aus, dann hatte er seiner Pflicht Genüge getan, mit welchem Erfolg auch immer. Er öffnete das Tor und betrat den Hof. Selbst aus dieser Entfernung hörte er das wenig einladende Geschrei des Kindes. Die älteste Tochter stand auf der einen Seite des Hofs und schüttete etwas aus einem Eimer in den Schweinetrog. Sie blickte auf, als er das Tor schloss, und wandte den Blick wieder ab, bevor er sich an den Hut tippen konnte. Armes Ding. Offenbar hatte sie die Erfahrung gemacht, dass Besucher ihr weder Freundlichkeit entgegenbrachten noch überhaupt irgendwelche Beachtung schenkten.
Er überquerte den Hof und nahm den Hut ab. »Guten Tag«, sagte er.
Das Mädchen knickste stumm, ohne den Blick vom Schwein abzuwenden, das sich mit grimmiger Entschlossenheit dem Trog zuwandte.
»Wie geht es dir?« Er setzte den Hut wieder auf. War sie vielleicht stumm?
»Gut, danke der Nachfrage.« Ihre Antwort war ausdruckslos, so als hätte sie sie einstudiert, und noch immer hielt sie den Blick auf das Schwein gerichtet.
Er betrachtete das Tier ebenfalls. »Wie geht es eurem Schwein?«, fragte er nach einer Weile.
Darauf hatte das Mädchen offenbar keine Antwort parat. Konzentriert schürzte sie die Lippen. »Sie ist boshaft«, brachte sie schließlich hervor.
»Tatsächlich?« Sie roch jedenfalls boshaft. »Was tut sie denn Böses?«
Für den Bruchteil einer Sekunde erwiderte sie seinen Blick. »Sie setzt sich manchmal auf ihre Jungen.«
»Das ist in der Tat boshaft.« Gelinde ausgedrückt. »Was kann man da tun?«
»Ich schlage sie mit einem Stock. Dann steht sie vielleicht auf.«
»Aber nicht immer?«
Sie schüttelte den Kopf. Theo malte sich die Situation aus: der massige Körper der Sau, das Quieken der verzweifelten Ferkel, und dieses Mädchen, trotz des Stocks hilflos angesichts der brutalen Launen der Natur. Jeder Tag auf dem Lande ließ London in einem besseren Licht erscheinen.
Genug über das Schwein. »Ich bin gekommen, um deine Familie zu besuchen, und ich habe ein paar Dinge mitgebracht. Dir habe ich etwas ganz Besonderes mitgebracht.«
Sie fragte nicht, was es wohl sein mochte, und wandte den Blick auch nicht von der Sau ab. Nur ihre Haltung verriet erhöhte Aufmerksamkeit.
»Ich war mir nicht sicher, weißt du«, sagte er beim Durchwühlen seiner Tasche, »ob es das Gold war, das dir so gefallen hat, oder das Papier, also habe ich dir von beidem etwas mitgebracht.« Er zog ein goldenes Band hervor. »Ich habe keine Ahnung, wo das herkommt – vermutlich hat es irgendwann mal eine Dame in meinem Haus vergessen –, aber ich kann nichts damit anfangen, und Mr Granville bestimmt auch nicht.« Er legte es ihr in die Hand.
Sie zog es zwischen zwei Fingern entlang, wortlos, von einem Ende zum anderen. Und dann wieder zurück.
Das war also der Trick. Beim nächsten Mal würde er sich ganz auf die Kinder konzentrieren und damit gewiss auch gleich die Eltern für sich gewinnen. »Du könntest deine Sau damit schmücken, falls sie sich eines Tages so sehr bessert, dass sie eine Belohnung verdient.« Er stupste das Tier mit dem Stiefel an. »Es würde ihr gut stehen, vielleicht als Schleife um den Schwanz, meinst du nicht?«
Ein Grübchen erschien auf der Wange des Mädchens, und sie schüttelte den Kopf.
»Du weißt das natürlich besser. Aber hier ist auch Papier, wie schon gesagt.« Er zog einen kleinen Stapel hervor. »Es ist eigentlich Tapete, deswegen ist es ganz gemustert. Blumen, Vögel,
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