Ein unsittliches Angebot (German Edition)
Mrs Weaver mal einen Augenblick Ruhe gönnen.«
»Stimmt etwas nicht mit ihm? Jedes Mal, wenn ich ihn gesehen habe, hat er so geschrien.«
Sie schüttelte den Kopf. »Meine Schwester hatte auch so ein Kind. Manche Babys sind so. Wenn sie älter werden, hört es auf. Bis dahin ist es allerdings schwer für die Mutter. Außerordentlich schwer, könnte ich mir vorstellen, für eine Mutter, die nicht den Luxus genießt, das Kind jederzeit einer Amme reichen zu können.« Die arme Kitty hätte das gekonnt, aber sie war hartnäckig wie Unkraut. Das lag wohl in der Familie.
Plötzlich ergriff er ihren Arm, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie hatte die Erinnerung an den vorherigen Abend und die darauf folgende Nacht sorgsam verdrängt; jetzt brach sie mit einem Mal wieder hervor und bauschte sich auf wie das Segel eines nahenden Piratenschiffs. Einen irrationalen Augenblick lang war sie überzeugt, dass er alles wusste, alles, was sie letzte Nacht getan hatte, und welche Rolle er dabei gespielt hatte, und dass er sie jetzt zur Rechenschaft ziehen wollte – doch nein, er führte sie lediglich um eine Gans herum, die sich ihr in den Weg gestellt hatte. Sie schluckte und drängte ihre unbändigen Gefühle wieder zurück.
Sie machten einen großzügigen Bogen um die Gans, sie und Klein Hiob und Mr Mirkwood. Das Schwein schlurfte auf der anderen Seite vorbei. »Sie sind also Tante«, sagte er und ließ ihren Arm los. »Auf die Idee wäre ich irgendwie nie gekommen.«
»Mehrfach sogar.« Ihr Puls beruhigte sich wieder, ihr Atem wurde gleichmäßig. Eine freundschaftliche Unterhaltung mit einem Mann, den sie dazu anregen wollte, sich zu bessern, nichts weiter. »Mein ältester Bruder hat ebenfalls Kinder.«
»Der Bruder, bei dem Sie wohnen würden, falls Sie nicht mit einem eigenen Kind gesegnet werden?«
»Andrew, genau.« Sie neigte den Kopf und roch verstohlen an Hiobs Flaum. Nichts auf der Welt roch wie Kinderhaut.
»Ihr ältester Bruder heißt Andrew. Und Ihre Schwester …?«
»Kitty. Katharine. Sie ist die Zweitälteste nach Andrew.«
Sie hatten das Ende des kleinen Hofs erreicht und wandten sich nach links, um am Zaun entlangzugehen. Das Schwein bog ebenfalls ab, flink und wendig wie ein dressiertes Pferd. Das Geheul des Kindes ließ nach und wurde zu einem erschöpft schluchzenden Schluckauf.
»Andrew und Kitty. Und Sie haben noch zwei weitere Brüder.«
»Woher wissen Sie denn das?« Sie blickte überrascht auf.
»Von Ihnen. Ich habe gefragt. Wissen Sie nicht mehr?« Sein Gesicht war im Gegenlicht nur schwer zu erkennen, und wo sein blasses Haar unter dem Hut hervorblickte, hatte er eine Art Heiligenschein. »Bei meinem zweiten Besuch habe ich Sie nach Ihren Geschwistern gefragt.«
»Tatsächlich? Und daran erinnern Sie sich noch?«
»Ich schaffe Platz dafür. Fragen Sie mich lieber nicht, was ich noch über den Loudon-Text weiß, den wir vor drei Tagen gelesen haben.« Jetzt hatte er bestimmt sein schelmisches Chorknabengrinsen aufgesetzt, doch sie sah nicht hin. Es war nicht wirklich boshaft, dieses Grinsen, nur gut gelaunt und nicht gewillt, irgendetwas ernst zu nehmen.
»Ich bin überzeugt, der Platz in Ihrem Gedächtnis wäre mit Mr Loudons Lehren nützlicher gefüllt als mit der Anzahl und Reihenfolge meiner Geschwister.«
»Zweifellos. Wie heißen Ihre übrigen Brüder?«
»Nicholas und William. Anwalt und Soldat.« Vorsichtig legte sie das Kind an die andere Schulter und klopfte ihm sanft auf den Rücken. »Welches Wissen habe ich jetzt aus Ihrem Kopf verdrängt? Pläne für den optimalen Fruchtwechsel? Den Entwurf des Gewächshauses mit dem verstellbaren Dach?«
»Beides wahrscheinlich, für jeden Bruder eins.« Eine Wolke schwächte das Sonnenlicht ab, sodass sie seine Augen sehen konnte, die mit einer beinahe hungrigen Neugier auf sie gerichtet waren. »Mag er das? Dieses Klopfen?«
»Die meisten Babys scheinen rhythmische Bewegungen zu mögen. Wie Sie sehen, wird er schon ruhiger.« Nur noch ab und zu verriet ein jäher Atemzug, dass er geschluchzt hatte, und sein Kopf hing schlaff auf ihrer Schulter. »Haben Sie noch nie eine kleine Nichte oder einen kleinen Neffen auf dem Arm gehabt?«
»Keine so kleinen.« Sie sprachen beide leise, damit Hiob einschlafen konnte. »Wenn sie laufen können, machen sie nicht mehr ganz so viel Mühe. Und noch besser wird es, wenn sie in vollständigen Sätzen sprechen können.«
»Aber eines Tages werden Sie selbst Kinder haben. Man wird jedenfalls
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