Ein unsittliches Angebot (German Edition)
Ellbogen ins Innere führte. Hiob keuchte einmal, wachte aber nicht auf.
Die Witwe sah sich im vorderen Raum um. »Wo ist eure Mutter?«, fragte sie die Kinder, denn Mrs Weaver war nirgends zu sehen.
»Sie hat sich hingelegt«, sagte einer der älteren Jungen.
»Oh«, sagte sie. Sie wechselte einen Blick mit Theo und machte dann einen Schritt auf die Kinder zu. »Habt ihr ein Bettchen oder eine Wiege, wo …« Ihre Stimme verebbte. Sie hatte sich an die älteste Tochter gewandt, und ihr Gesicht verriet zuerst Verwirrung, dann plötzliche Erkenntnis. Eilig drehte sie sich zu den anderen Kindern um. »… wo ich ihn hinlegen kann?«
Der Junge deutete stumm auf eine der Türen in der hinteren Wand. Sie ging hindurch. Theo lächelte in die Runde; keines der Kinder lächelte zurück. Nach einer halben Ewigkeit kam Mrs Russell mit leeren Händen zurück.
»Sie schläft wie eine Tote.« Sie stand neben ihm, die Stimme nur ein Flüstern, die Stirn besorgt gekräuselt. »Ich glaube nicht, dass wir die Kinder jetzt allein lassen können, während ihre Mutter schläft, oder was denken Sie?« So etwas war ihr auf ihren Rundgängen offenbar noch nie passiert.
»Ich wette, das sind sie gewöhnt«, flüsterte er zurück. »Aber wenn Sie ein ungutes Gefühl haben, bleiben wir.«
»Ich denke, das sollten wir. Wir können die anderen Familien ja ein anderes Mal besuchen. Ich denke sowieso, dass diese Familie alles gebrauchen kann, was ich in meinem Korb habe.« Die Bücher erwähnte sie nicht, und er auch nicht. »So.« Sie ließ ihn stehen und wandte sich an die Kinder. »Wer hilft mir, den Tisch abzuräumen?«
Nur zwei der Kinder blickten auf. Niemand sagte etwas. Meine Güte! Er hatte genug von diesem Klan. »Du da!« Er ruckte das Kinn in Richtung eines vielleicht zehnjährigen Mädchens. »Sei so gut und zeig Mrs Russell, wo die Reste hinkommen und so weiter.«
Auf einen direkten Befehl reagierte sie. Genau wie das Schwein. Vielleicht war das der Trick, wie man mit ihnen umspringen musste. Die Witwe winkte ab, als er helfen wollte, und so setzte er sich an ein Ende des Tisches und sah zu, wie sie mit dem Mädchen zurechtkam. Ihr Name wurde festgestellt, ihr Alter, ihr Lieblingsdies, ihr Lieblingsdas, und das Kind antwortete immer weniger zögerlich. Es war eindeutig nicht Mrs Russells bevorzugtes Gesprächsthema, was ihre unbeholfenen Versuche irgendwie liebenswert machte.
Als das Geschirr abgeräumt war, entdeckte er auf dem Tisch etwas, das er vorher noch nicht bemerkt hatte: ein Stück Goldpapier, halb aufgefächert. Sein Magen verkrampfte sich bei dem Anblick. Feiger Magen. Er würde ihm Standhaftigkeit beibringen. Er wandte den Blick nicht ab.
Das Mädchen hatte versehentlich zweimal in die gleiche Richtung gefaltet und war danach offenbar nicht weitergekommen. Er saß einen Augenblick lang ganz still, dann lehnte er sich vor und ergriff den Schnipsel, immer darauf bedacht, nicht in ihre Richtung zu blicken.
Den Fehler auszumerzen, war das Werk von Sekunden, und danach faltete er den Fächer zu Ende. Er beschäftigte seine Hände gern mit belanglosen Dingen. Er setzte sich so zurecht, dass sie ihm zusehen konnte, falls sie zufällig in seine Richtung sah – er selbst vermied es, hinzuschauen – und strich jede Falte mit dem Daumennagel glatt. Das hatte er vergessen, ihr zu zeigen. Aber ohne Tisch wäre es auch schwierig gewesen, denn er hatte ja auf seinem – na ja, daran wollte er lieber nicht mehr denken. Sein Magen war noch nicht so abgehärtet.
Als das Papier wieder ordentlich gefaltet war, schnipste er es dorthin zurück, wo es gelegen hatte. Dann sprang ihm etwas ins Auge.
Auf dem Fußboden an der gegenüberliegenden Wand lag noch ein Stück Papier, genau wie das erste. Auch auf dem Fensterbrett. Unter dem Herd. Hinter dem Kissen auf dem ausgefransten, windschiefen Sessel. Und zwischen dem Feuerholz vielleicht ein Dutzend mehr.
Mrs Russell und das kleine Mädchen würden noch einige Minuten beschäftigt sein. Er brauchte etwas zu tun, sonst würde er arbeitsscheu aussehen und den Kindern ein schlechtes Beispiel geben. Also stand er auf und sammelte die Papiere ein, eins nach dem anderen. Alte Rechnungen, eine alte Tee-Verpackung, sogar ein oder zwei Briefe – das Mädchen schien alles gefaltet zu haben, was es in die Finger bekommen konnte. Er brachte alle Schnipsel zum Tisch zurück und machte sich daran, sie zu richten.
Als das Geschirr gespült und das Spülwasser aus der Tür gekippt war
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