Ein unsittliches Angebot (German Edition)
offensichtlich Mrs Russell erfreut. Die Witwe und der Kirchenmann. Wie ein Paar ernster Buchstützen in ihren schwarzen Gewändern vertieften sie sich in ein Gespräch über die Schule, was wohl unvermeidlich gewesen war, und er zog sich mit Granville zurück.
Ihre hohe Meinung beruhte auf Gegenseitigkeit, so viel stand fest. Und warum auch nicht? Welcher Geistliche würde keine hohe Meinung von einer tugendhaften jungen Ehefrau oder Witwe mit ernsthaften Interessen haben? Und wieso sollte sich bei ähnlichen Interessen und ähnlichem Alter keine Freundschaft entwickeln? Wenn er nur nicht so interessant aussähe, so ganz schwarz-weiß und kantig. War das nicht immer so bei Landpfarrern? Nicht einer von dreien war so anständig, hässlich zu sein, damit die jungen Damen an einem Sonntagmorgen ernst und aufmerksam blieben.
Genug. Sie hatte jedes Recht, freundlich zu anderen Männern zu sein, zu gut aussehenden ebenso wie zu hässlichen. Und er, nicht der Pfarrer, war es, der in einer guten Stunde mit ihr ins Bett gehen würde. Er brauchte die letzten paar Minuten, in denen er Granvilles bessere Meinung von sich festigen konnte, nicht zu verschwenden.
Doch als er sich endlich in Mrs Russells Haus befand und in dem Bett mit den blauen Vorhängen zugange war, war er sich einer besonderen Heftigkeit seinerseits bewusst, dem barbarischen Wunsch, eine Spur zu hinterlassen. Wenn er sie biss … wenn er sie wund machte… wenn er sie festhielt und seine Zunge in sie steckte, sich mit den ganz mechanischen Instinkten ihres Körpers verbündete und sie gegen ihren Willen in Ekstase versetzte, dann würde sie an ihn denken müssen , wenn er aus ihren Augen entschwunden war. Ein Bluterguss oder ein gelegentlicher Schmerz oder die schockierten Erinnerungen an das, was er sie hatte empfinden lassen, würden bei ihr bleiben, während sie all den alltäglichen Dingen nachging, an denen er keinen Anteil hatte.
Doch er war kein Barbar, und außerdem konnte er sich nur allzu gut vorstellen, wie sie ihn später ansehen würde, wenn er irgendetwas von diesen Dingen tun würde. Also tat er nichts davon. Er begab sich auf seine einsame Reise zum Glück, half ihr pflichtschuldig auf ihr Kissen, zog sich an und ging nach Hause, und an irgendeinem leeren Ort in seinem Inneren grummelte ein unbefriedigter Hunger.
10
»Guten Morgen, Mrs Russell. Dieser Brief ist versehentlich bei mir abgegeben worden. Ich habe das Siegel aufgebrochen, bevor ich bemerkte, dass er an Sie gerichtet sein muss. Würden Sie bitte nachschauen und mir bestätigen, dass es Ihrer ist? Oder muss ich ihn noch weiter durch die Nachbarschaft tragen?«
Was um alles in der Welt sollte das? Es konnte kaum zehn Uhr morgens sein. Zu welchem Zweck war er so früh aufgestanden und spielte ihr jetzt diese ach so respektable Szene vor?
Mit einem Seitenblick auf den wartenden Diener ergriff Martha den Brief und faltete ihn auf. In der entsetzlichen Handschrift eines hochgeborenen Gentlemans war quer über das Papier gekrakelt: Wir müssen es jetzt tun. Können Sie es einrichten, sich in zehn Minuten oben mit mir zu treffen?
»Ja.« Sie hob wieder den Blick. »Ja, das ist tatsächlich mein Brief. Vielen Dank, dass Sie ihn mir gebracht haben.« Sie faltete ihn wieder und strich besorgt über die Knicke.
»Ich dachte es mir.« Einen Augenblick lang betrachtete er ihre arbeitenden Finger, und als er sprach, merkte sie, dass er sie beruhigen wollte. »Dann empfehle ich mich. Ich bin sicher, die Pflicht ruft Sie ebenso wie mich.« Mit einer Verbeugung und einem beinahe verschwörerischen Lächeln setzte er seinen Hut wieder auf und ließ sich vom Diener hinausgeleiten.
»Sie haben gestern zu gute Arbeit geleistet, als sie mich Granville vorgeführt haben.« Er schüttelte bereits den Frack ab. »Er glaubt, dass ich mich jetzt ernsthaft in die Verwaltung stürzen will. Ich soll heute und morgen mit zum Dreschen. Nicht, dass man nicht seit Tagen schon sehr gut ohne mich zurechtgekommen wäre – ich muss mit, und dann soll ich auch noch dabei sein, wenn er das Korn irgendwo zum Mahlen bringt, und Gott weiß was noch alles. Alle möglichen Schikanen, und jede einzelne scheint einen ganzen Nachmittag zu dauern. Ich wusste nicht, wie ich mich davor drücken sollte.«
»Überhaupt nicht.« Martha stand still und wartete, bis er sie ansah. »Mr Mirkwood, das sind ja wundervolle Neuigkeiten! Sie haben hart gearbeitet und sich mit Dingen befasst, die Sie nicht mögen. Das ist äußerst
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