Ein unsittliches Angebot (German Edition)
dermaßen abschweifen lassen.«
»Kein Besuch?« Er hielt inne, einen Arm in der Weste, den anderen draußen. »Aber Sie haben doch sicher Freundinnen in der Nachbarschaft?«
»Ich habe nicht wirklich Bekanntschaften geschlossen. Ich glaube, Sie haben gesehen, wie es ist. Die Leute sind freundlich zu mir, aber wir wahren die Distanz. Ich habe kein … einnehmendesWesen, oder wie auch immer man jene Eigenschaften nennt, die geeignet sind, Zuneigung und Freundschaft zu begünstigen.« Wie holprig und ungelenk ihr die Worte über die Lippen kamen. Und welch törichte Reaktion. Es war doch gut, allein zu sein. Sie wollte nichts von ihren Nachbarn, außer ihrer guten Meinung.
»Trotzdem sollten sie Sie besuchen.« Er beschäftigte sich mit dem zweiten Arm. »Sie sind verwitwet. Es gehört sich so, ob sie Sie gut kennen oder nicht.«
Dass gerade er sich darüber Gedanken machte, was sich gehörte! Das Gespräch wurde immer absurder. Sie verkniff sich ein Lächeln und bemühte sich um einen neutralen Tonfall, um seine Gefühle nicht zu verletzen. »Grämen Sie sich nicht meinetwegen. Ich kann mich schon beschäftigen. Ich muss ja meine Pächter besuchen, und ich kann Mr Atkins bei den Vorbereitungen für die Schule helfen.«
Stirnrunzelnd zog er sich die Handschuhe an. »Sie sollten einen größeren Bekanntenkreis haben. Mehr Besuche machen als nur bei Ihren Pächtern und Ihrem Pfarrer.«
»Mag sein, aber das würde mein Arrangement mit Ihnen viel komplizierter machen. Wir hätten nachmittags nicht so ergiebig lernen können. Jetzt helfen Sie mir beim Anziehen, dann zeige ich Ihnen den Weg zu meinen Räumen.«
Diesmal war ihr Korb nicht so schwer, doch sein Inhalt verlangte immer wieder ihre Aufmerksamkeit. Eine Kiste oder ein Korb mit einem Deckel wären geeigneter gewesen als das Tuch, das sie ständig zurechtziehen und neu feststecken musste. Nun denn. Beim nächsten Mal würde sie es besser wissen.
Am Montag würde die Schule beginnen, und am Sonntag darauf würde Mr Atkins zum ersten Mal den Versuch unternehmen, junge Mädchen zu unterrichten. Sie hatte sich überlegt, dass sie Mr Mirkwood dahingehend bearbeiten wollte, dass er einige seiner Kätner-Kinder anmeldete und vielleicht ein Stipendium stiftete, doch jetzt, wo er zeitlich so eingebunden war, nun, da musste man eben einige Dinge selbst in die Hand nehmen.
Die Bäume um sie herum flüsterten verschwörerisch in der leichten Brise, so als wollten sie sie anspornen. An einer Stelle, an der die Sonne auf eine Lichtung zwischen den Stämmen fiel, hielt sie wieder einmal an, um ein Paar winziger Klauen vom Korbrand zu lösen und ihren Besitzer zurück unter das Tuch zu schieben. Ein Kater war ein nützliches Haustier. Dieses Exemplar hätte sich sein warmes Plätzchen in Seton Park redlich verdient; jetzt würde es, wenn sein Glück anhielt, nicht nur die Genugtuung ehrlicher Arbeit erfahren, sondern auch die zärtliche Zuneigung eines kleinen Mädchens.
Rund zwanzig Meter bevor der Wald in ein Gebüsch und dann in offenes Weideland überging, kam die Kate der Weavers in Sicht. Marthas Atmung wurde unwillkürlich flacher; sie zwang sich zu tiefen, gleichmäßigen Zügen. Wie viel weniger beängstigend das doch mit Mr Mirkwood gewesen war, der sich überall wie zu Hause fühlte und sich sogar bei den Schweinen beliebt machte. Doch die Aufgabe konnte einen anspornen, selbst wenn man unterwegs ein wenig zauderte. Sie zog die Schultern zurück und ging weiter.
Klein Hiob war heute draußen, irgendwo hinter dem Haus, und schrie seinen Unmut jedem entgegen, der zuhörte. Martha öffnete das Tor. Das Schwein, mit dem Inhalt seines Trogs beschäftigt, hob gerade lange genug den Kopf, so konnte man jedenfalls meinen, um festzustellen, dass sie nicht Mr Mirkwood war, bevor es abschätzig grunzte und weiterfraß. Drei oder vier Gänse watschelten auf sie zu, offensichtlich am Inhalt des Korbs interessiert, und folgten ihr.
Mehrere Wäscheleinen waren im Zickzack über den Hinterhof gespannt, ungefähr zur Hälfte mit frischer Wäsche behängt. Die älteste Tochter stand über eine Kupferwanne gebeugt und rührte deren Inhalt mit einem Waschstab um, während vier andere Kinder damit beschäftigt waren, die kleineren vermutlich bereits gespülten Kleidungsstücke aus einer zweiten Wanne auszuwringen. Ihre Mutter hängte gerade eine Schürze auf; das Kind schrie in einem Korb zu ihren Füßen. Sie drehte sich um, vermutlich durch die immer unüberhörbarere
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