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Ein unverbindliches Ja

Ein unverbindliches Ja

Titel: Ein unverbindliches Ja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Reuter
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völlig neben sich, ihre Bewegungen sind unkontrolliert, ihr Blick ist starr. Ich weiß, das sind die Folgen der starken Medikamente, die sie bekommt.
    Mein Vater bleibt der Beisetzung ebenfalls fern. Denn seit der Scheidung hat sich so etwas wie Hass zwischen meinen Eltern aufgebaut. Trotzdem hat er geweint, als er mir diese traurige Nachricht überbringen musste. Er hat meine Mutter immer geliebt, ich weiß es genau. Ob er es auch weiß? Keine Ahnung. Er spricht nicht über seine Gefühle.
    Eingehakt gehen Harry und ich nun drei Schritte vor zum Grabrand. Er wirft eine Rose und ich einen Plastikfrosch zu Mama hinab. Das dumpfe Geräusch des Aufpralls erzeugt überall Gänsehaut. Frösche sind, ich meine natürlich waren, ihre Lieblingstiere. Ihre beiden Laubfrösche Mückefett und Petrus hat sie ebenfalls zurückgelassen. Sie sitzen jetzt nichtsahnend im Terrarium und fühlen keine Trauer – irgendwie beneidenswert.
    Ich erwische mich dabei zu hoffen, dass alles nur ein böser Traum ist und der Wecker gleich klingelt. Was für eine törichte Hoffnung. Ich sollte lieber versuchen dieser unerträglichen Endgültigkeit ins Auge zu sehen, um zu verstehen, dass Mama nun unwiederbringlich fortgegangen ist. Und dabei wollte ich sie doch noch so viel fragen.
    Wie ein einziger Moment, nur ein kurzer Augenblick so viel verändern kann. Plötzlich erscheinen mir manche Dinge in einem anderen Licht. Mein Denken, mein Verhalten, mein Lachen – einfach alles ist nicht mehr, wie es einmal war. Der leichte und unbeschwerte Schmetterling in mir ist zu einer trägen, unscheinbaren Motte geworden, die sich ihre Flügel im grellen Neonlicht verbrannt hat.
    Die nächsten Wochen verbringe ich in einem tiefschwarzen Loch. Hendrik hat in dieser Zeit nur zweimal versucht mich zu erreichen. Den ersten Anruf habe ich ignoriert, weil ich nicht einmal in der Lage war den Telefonhörer abzunehmen. Und bei dem nächsten Mal schaltete sich wohl der Anrufbeantworter ein, Hendrik bat lediglich um einen Rückruf. Harry richtete mir diese Nachricht aus, ohne eine Spur von Neugierde, wer Hendrik ist. Vielleicht hielt er ihn für einen weiteren Cousin. Denn auf der Beisetzung hatte er irgendwann aufgegeben sich all die Namen meiner Verwandten zu merken.
    Tja, das war alles – mehr habe ich bisher nicht von Hendrik gehört. Und dabei bräuchte ich gerade jetzt eine starke Schulter zum Anlehnen. Einen Halt, den mir Harry absolut nicht geben kann.

KAPITEL 5:
MEINE VERGANGENHEIT IST WIEDER GEGENWART
    Ständig breitet sich diese innere Leere in mir aus. Einsamkeit. Grübeln und ein unstillbares Verlangen nach Geborgenheit plagen mich. Ich werde mir selbst immer fremder. Ich reise unentwegt in die Vergangenheit – Situationen meiner Kindheit leben auf. Besonders präsent ist mir dabei das Trennungsjahr meiner Eltern. In meinen Tagträumen bin ich wieder das kleine fünfjährige Mädchen. Momentaufnahmen, Bilder, Erlebnisse werden wach, die ich längst schon nicht mehr im Gedächtnis vermutet habe. Ich erlebe es aus der Sicht des Kleinkindes von damals.
    So sehe ich jetzt in diesem Moment vor meinem geistigen Auge, wie Mama im Wohnzimmer sitzt, zufrieden den Klängen ihrer Schallplatte lauscht und einen Teppich knüpft. Ich sehe ihre wunderschönen schwarzen Haare, ihre leuchtend grünen Augen funkeln im Licht. Im Hintergrund unsere Südseestrand-Panoramatapete. Als Fünfjährige bin ich gerade sehr erbost, dass meine Mutter eine ganze Woche schon ihre Zeit an diesen Lappen verschwendet, anstatt mit mir Memory zu spielen.
    Papas Leidenschaft ist seine Vogelzucht. Er ist nun schon seit einer guten Stunde auf dem Balkon und starrt in den Vogelkäfig. Gebannt beobachtet er, wie diese kleinen Scheusale von Stange zu Stange hüpfen, immer hin und her. Seine Blicke verfolgen jede Bewegung. Wäre der Käfig ein Fernseher, könnte man wetten, dass Papa ein höchst spannendes Tennisspiel sieht. Somit erscheint es mir für die nächste Zeit unmöglich ihn von seinen Vögeln wegzulocken.
    Also bleibt nur meine große Schwester Annika als Zeitvertreib übrig. Sie ist schon fast zehn und genießt abends das Recht zwei Stunden länger aufzubleiben. Fast täglich fordert sie mich dazu heraus meine Grenzen neu abzustecken. Dabei räumt mir unser Altersunterschied von fünf Jahren einen großen Freiraum für Streiche und andere Schandtaten ein. Papa denkt sogar, dass ich Annika mag, und um ihn in diesem Glauben zu lassen, verhalte ich mich von Zeit zu Zeit

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