Ein unversoehnliches Herz
vertieft waren. Niemand schien ihn zu bemerken, sie gingen zügigen Schritts das kurze Stück zum Tor, wo die Wachen standen.
Als die Lehrer näher kamen, grüßten die Wachposten und öffneten das Tor. Die ältesten ganz vorn erwiderten höflich den Gruß, setzten ihre Unterhaltung jedoch gleichzeitig lebhaft fort. Auch Sören Christer grüßte die Männer, die er nie zuvor gesehen hatte, im Vorbeigehen. Sobald sie das Tor hinter sich gelassen hatten, bewegte sich die Gruppe weiter auf die Ortschaft zu, aber Sören Christer bog an der ersten Stichstraße von den anderen unbemerkt ab.
Er blieb stehen, sah die Lehrer den Hang hinabgehen, zündete sich eine Zigarette an und musste darüber lachen, wie einfach es gewesen war. Das hätte er schon am zweiten Tag tun und sich damit viel Ärger und Angst ersparen können.
Lieber Bruder …
Du setzt dich auf den Stuhl und rückst ihn etwas näher zu Gunhilds Bett. Ihr lächelt euch noch eine Weile an, auch wenn das Lachen inzwischen abgeebbt ist. Sie scheint darauf zu warten, dass du etwas sagst.
Du weißt, worum es geht, es bleibt dir nicht erspart. Amelie hat von mir und meinem Tod erzählt. Am Ende beschließt du, die Sache nicht weiter hinauszuschieben.
»Ich habe erfahren, dass Amelie dir von Andreas erzählt hat.«
»Ja, das hat sie. Poul …«
»Es war vielleicht dumm von mir. Ich wollte nicht, dass du es so erfährst.«
Du verstummst, als du aufblickst und ihr Gesicht siehst. Sie lächelt dich sanft an. Du schämst dich plötzlich, weil du gedacht hast, sie würde wütend auf dich sein und dir Vorwürfe machen, weil du gelogen hast.
»Ich wollte es dir erst erzählen, wenn es dir wieder etwas besser geht.«
»Das verstehe ich«, antwortet sie und drückt deine Hand. »Aber es ist so furchtbar. Andreas hätte noch viele Jahre vor sich haben sollen. Wie furchtbar.«
»Ja. Und Amelie?«
»Sie ist natürlich am Boden zerstört. Ihre Gefühle für Andreas sind ja trotz der schrecklichen Dinge, die sie durchgemacht haben, nie verschwunden.«
»Sie haben sich immer nahe gestanden.«
»Man bereut so vieles. Ich meine, wenn man hier liegt.«
»Was meinst du mit bereut ?«
»Erinnerst du dich an ihre Hochzeit?«
»Natürlich erinnere ich mich an ihre Hochzeit.«
»So meine ich das nicht«, sagt sie. »An dem Tag lief das Ganze irgendwie schief. Ich war so wütend auf Andreas … er war so verschwenderisch und weigerte sich einzusehen, dass man sich nicht alles leisten konnte. Irgendwer musste ihm doch klarmachen, dass man das Geld nicht einfach so zum Fenster hinauswerfen konnte, wie er es tat. Und dann Amelie, die immer nur nickte und geblendet von dem ganzen Aufwand zu allem Ja und Amen sagte. Sie, die eigentlich nie heiraten wollte … und dann stand sie da im teuersten Hochzeitskleid von Stockholm. Was dachten die beiden sich nur dabei? Sie schien völlig vergessen zu haben, dass wir von den Almosen meiner Familie lebten. Vielleicht hatte ich mir insgeheim erhofft, dass Andreas sich um sie kümmern würde, finanziell, meine ich … ich wusste doch, dass er aus einer wohlhabenden Familie stammte. Aber mir war schnell klar, dass dies Wunschdenken war, er schien uns eher noch tiefer in den Ruin zu stürzen … Amelie hat es in den letzten Jahren auch nicht immer leicht gehabt, und ohne deine Hilfe hätte sie es noch viel schwerer gehabt. Aber als sie und Andreas heiraten wollten, waren sie so jung, kindisch und sorglos. Das muss man ihnen nachsehen … aber trotzdem … Rechnungen müssen eben bezahlt werden … irgendwer musste es ihnen doch klar machen. Und dann wurde alles noch irrsinniger … am Hochzeitstag.«
»Aber es hat doch trotzdem alles ganz gut geklappt, oder? Wenn man einmal davon absieht, dass die Hochzeit zu teuer wurde.«
»Es gibt da etwas, das ich dir nie erzählt habe. Wahrscheinlich, weil ich mich so dafür geschämt habe. Es ist schon beim Hochzeitsbankett passiert.«
Sie seufzt schwer und blickt zur Decke, als wollte sie Kraft schöpfen. Sie spielt mit den Fingern, was fast aussieht, als feilte sie die Nägel aneinander.
»Amelie hat mir damals eine Frage gestellt«, sagt sie schließlich. »Sie hat sie mir ins Ohr geflüstert … zwischen zwei Reden. Ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst, konnte mich nicht rühren und zitterte wie Espenlaub. Sie hatte in der Kirche beobachtet, wie du und ich uns ansahen. Zuerst hatte sie nur meinen Blick gesehen, der voller Liebe und Zärtlichkeit war, wie sie meinte, ein Blick, wie man
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