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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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ihn nur dem Menschen zuwirft, der dem eigenen Herzen am nächsten steht. Daraufhin hatte sie sich umgewandt, war dem Blick gefolgt und hatte dich gesehen … Sie wäre fast in Ohnmacht gefallen. Aber das hat sie mir erst später, viel später erzählt. Beim Essen beugte sie sich nur zu mir hin und flüsterte: Mama, bist du in Poul verliebt ? Begreifst du, wie bestürzt ich war? Wir, die wir so, ja, so besonnen gewesen waren … und trotzdem hatte sie uns durchschaut. Aber es ist immer eine Stärke Amelies gewesen, andere Menschen zu durchschauen, es ist eine Gabe, die sie schon als Kind hatte.«
    »Ja, das kann sie gut«, sagst du sachlich. »Aber war es denn wirklich so schlimm, dass sie unsere Liebe durchschaut hat? Das war doch nur ein oder zwei Wochen, bevor wir es allen offiziell mitgeteilt haben, auch Andreas und ihr.«
    »Ich bereue bis heute, dass wir damit nicht länger gewartet haben. Eine solche Nachricht zu verbreiten, während sie in den Flitterwochen waren. Was haben wir uns bloß dabei gedacht? Aber mir war wohl nicht bewusst, dass es jemanden verletzen könnte, am allerwenigsten Andreas, der doch keine Vorurteile zu kennen schien. Aber das ist es nicht, was mich noch heute so zerreißt … sondern das, was ich Amelie bei dem Essen geantwortet habe, als sie nach uns gefragt hat.«
    Du wartest, hast keine Ahnung, was sie meint.
    »Ich habe ihr nur ganz kurz geantwortet: Nein.«
    Du nickst bedächtig. Natürlich, denkst du. Du hast das Gleiche gesagt, als ich dich danach gefragt hatte.

Es gelang ihr, ihn so weit zur Seite zu schieben
    dass sein feuchter Kuss auf ihrer Wange landete.
    Rom, 27. Oktober 1921
    Amelies Herz hatte gestreikt. Der Druck auf ihrer Brust war in Herzrhythmusstörungen übergegangen, und sie hatte sich erst in Berlin und anschließend in Rom notfallmäßig behandeln lassen müssen.
    Sie war verblüfft, als der italienische Arzt ihr erzählte, wie lange sie krank gewesen war. Doch jetzt, nach drei Wochen Bettruhe, spürte sie, dass sie wieder alleine aufstehen konnte. Ihr Körper war auf eine Art mitgenommen, die sie bislang nicht gekannt hatte. Diese Wochen voller sonderbarer und schwer zu deutender Träume. Sie hatte sogar darum gebeten, einen Notizblock zu bekommen, damit sie festhalten konnte, was sie im Traum erlebte.
    Es war so viel gewesen, vor allem Schreckliches, aber auch Visionen, die sie beruhigten und ihr die Gewissheit gaben, dass die Kinder in guten Händen waren und sie selbst ihr Bestes gegeben hatte. Sie wunderte sich, wie unbeschwert sie ihren eigenen Untergang betrachtete.
    Anfangs hatte es sie verblüfft, wie krank sie gewesen war, als der junge Arzt ihr erzählte, dass sie über längere Zeit gar nicht ansprechbar gewesen war. Sie nickte ernst, als er sprach, aber es fiel ihr schwer, seinen Worten zu folgen. Sie hatte sich über die Jahre an alle möglichen Schmerzen und schulterzuckenden Ärzte gewöhnt, die mal dies, mal jenes herunterleierten, ohne ihr zu sagen, woran sie wirklich litt. Sie deuteten nur alles Mögliche an, sprachen von Unruhe, Rheumatismus, schwachen Nerven. Blanker Unsinn, das wusste sie genau. Einig waren sie und die Ärzte sich nur darin, dass sich ihr gesundheitlicher Zustand in einem wärmeren Klima verbesserte.
    Aber diesmal war alles anders gewesen. Als der Arzt und das übrige Personal erkannten, dass sie Probleme mit dem Herzen hatte, wurde die ganze Abteilung auf sie angesetzt. Sie wurde laufend beobachtet und dauernd abgetastet, eiskalte Stethoskope wurden ihr auf Brust und Rücken gepresst und darüber hinaus tausend Fragen gestellt.
    Sie wollte einfach nur schlafen, war schrecklich müde und erschöpft. Schon bei dem Versuch, etwas zu frühstücken, geriet sie außer Atem, als wäre sie fünf Kilometer gelaufen und anschließend einen Kilometer geschwommen. Tatsächlich hatte sie höchstens einen Löffel gehoben, um etwas kalte Suppe zu sich zu nehmen.
    Außer einigen Träumen war ihre intensivste Erinnerung, dass sie den Arm des jungen Arztes gepackt und ihm erklärt hatte, entscheidend sei allein, ihr zu helfen, nach Rom zu reisen. Für sie zähle nur das eine: sich von Oki und den Kindern verabschieden zu dürfen.
    In Wahrheit befand sie sich längst in Rom. Und statt zu sterben, war es ihr am nächsten Tag deutlich besser gegangen. Der Arzt meinte, es habe sich wahrscheinlich um eine Herzbeutelentzündung mit hohem Fieber gehandelt. Das sehe schlimmer aus, als es sei, sagte er und klopfte ihr unbeholfen auf die Schulter. Sie

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