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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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für heute verabredet haben, erwähntest du einen Brief«, sagte er und lehnte sich zurück, als hätte er alle Zeit der Welt, um auf ihre Antwort zu warten.
    Ja, dachte sie. Jetzt will er nicht länger um den heißen Brei herumreden. Der Brief. Deshalb war sie hergekommen.
    Sie räusperte sich.
    »Das ist richtig. Ich habe einen Brief von Andreas dabei. Aber vorher muss ich dich etwas fragen, Poul. Es kommt mir ein bisschen seltsam vor, aber wenige Wochen vor seinem Tod bat Andreas mich, dir etwas auszurichten. Es ging um einen anderen Brief, er meinte, er hätte ihn dir vor vielen Jahren geschickt, schon 1913, im Zusammenhang mit einer Reise nach Deutschland.«
    »Ein Brief von 1913? Das ist ja über zehn Jahre her.«
    »Das habe ich auch gesagt. Aber er beharrte darauf und meinte, du würdest deine gesamte Korrespondenz katalogisieren, weshalb es für dich ein Leichtes sein müsste, ihn herauszusuchen.«
    »Das denke ich eigentlich nicht.«
    »Er hatte dir einen Brief geschickt und dich gebeten, ihn nicht zu öffnen. Du hättest ihm versprochen, seiner Bitte nachzukommen und abzuwarten, bis er dich bitten würde, das Schreiben zu lesen. Wie gesagt, kurz vor seinem Tod hat er mich gebeten, dir auszurichten, dass du den Brief öffnen sollst.«
    »Ich kann diesen Brief jetzt nicht heraussuchen. Ich hoffe, dafür hast du Verständnis.«
    »Nun ja, mehr kann ich dazu nicht sagen. Offenbar hat er dir den Brief geschickt, als du auf einem wichtigen Psychoanalytischen Kongress warst.«
    »Auf einem Kongress? 1913, sagst du? Ich fahre jedes Jahr zu einer Reihe von Kongressen.«
    »Ich verstehe. Der Brief war ihm anscheinend sehr wichtig.«
    »Ich habe keine Ahnung, was er meint.«
    Jetzt, dachte sie, sieht er nicht mehr aus wie ein Seelenarzt, sondern aggressiv und ungeduldig. Sie merkte, dass sie die Stuhllehne immer fester drückte. Sie wünschte, sie hätte ihr Anliegen besser formuliert, sodass erst gar keine Missverständnisse aufkommen konnten.
    »Das ist schade«, sagte sie und senkte den Blick.
    »Du weißt nicht, worum es in dem Brief geht?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß nur, dass es darin um euer … Verhältnis als Brüder ging.«
    »Das ist alles so kryptisch. Typisch Andreas.«
    »Hast du ihn vielleicht schon geöffnet?«
    »Wenn er mich gebeten hat, ihn nicht zu öffnen, habe ich das selbstverständlich auch nicht getan.«
    »Entschuldige, so habe ich das nicht gemeint. Es kommt so leicht zu Missverständnissen.«
    »Für mich riecht das doch sehr nach dem guten alten Ränkespiel meines Bruders. Wer schickt schon einen Brief, bittet dann den Empfänger, ihn nicht zu öffnen, und lässt einem schließlich, aus dem Grab heraus, ausrichten, dass der Brief nun doch geöffnet werden kann, zwölf Jahre, nachdem er abgeschickt wurde? Das ist doch absurd.«
    »Du erinnerst dich wirklich nicht?«
    »Nein, das habe ich doch schon gesagt. Begreifst du denn nicht, Madeleine, dass du und ich nur Figuren in seinem Spiel sind? Ich habe es herzlich satt, bei diesem Spiel mitzumachen. Wenn ich einen Brief verloren habe, entschuldige ich mich dafür. Vielleicht ist das der Grund für diese merkwürdige Aufforderung, einen alten Brief zu öffnen. Es klingt wie aus einem dieser alten Abenteuerromane, die man als Kind gelesen hat. Es hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Es ist nichts als eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit.«
    Er verstummte abrupt, als Signhild das Zimmer betrat. Sie knickste und räumte den Tisch ab.
    »Bleibt die gnädige Frau zum Abendessen?«, fragte sie, ohne dass ersichtlich gewesen wäre, ob die Frage an Poul oder Madeleine gerichtet war. Es entstand ein peinliches Schweigen.
    »Es wäre natürlich ausgesprochen nett, wenn du zum Essen bleiben könntest«, sagte Poul schließlich. »Gunhild dürfte leider zu schwach sein, um mit uns zu essen.«
    »Das ist schade. Ich meine, das mit Gunhild. Wenn du möchtest, bleibe ich natürlich gern zum Essen.«
    Die Zeit verstrich so seltsam, wenn man in seinen Gedanken verschwand. Mal ging es um einen Moment, der so kurz war, dass er sich mit keiner Uhr messen ließ, ein anderes Mal hielt dieser Zustand minutenlang an. Hinterher konnte man nicht begreifen, dass man so lange an etwas anderes gedacht hatte.
    Madeleine passierte das dauernd, was sie sehr verunsicherte. Sie wusste nie, ob sie nachfragen sollte, wenn sie etwas nicht verstand. Vielleicht, überlegte sie, wirkte sie dann dumm, da die Sache kurz vorher erklärt worden war.
    Sie war sich

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