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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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Andreas so oft beschrieben hatte, auf sie herabgesenkt hatte, ohne dass es ihr aufgefallen war.
    Sie wusste, dass sie sich im stillen Haus aufhielten. Im lauten Haus lagen unter anderem die Küche, in der sich Gong befand, und das Badezimmer, wo das Telefon an der Wand hing.
    Poul stand abrupt auf.
    »Entschuldige mich bitte«, sagte er. »Ich hatte Doktor Lenmalm gebeten, mich anzurufen.«
    Er hatte eine grimmige Falte zwischen den Augen bekommen, blätterte in Papieren und legte sie dann wieder ab.
    Madeleine fand, dass er verwirrt aussah. Fast tat er ihr ein wenig leid.
    »Ich verstehe das nicht«, sagte er und blätterte weiter. »Bei mir herrscht doch sonst immer solche Ordnung.«
    Als Poul gegangen war, holte Madeleine eine Fotografie heraus, die sie seit Andreas’ Tod bei sich getragen hatte. Es war ein Bild aus Amerika, vom Grand Canyon, und die Aufnahme schien vom höchsten Punkt einer mächtigen Erhebung gemacht worden zu sein, von der aus man direkt in die tiefen Schluchten hinabblicken konnte.
    Große Felsblöcke, durch die sich der Fluss einen Weg gebahnt hatte, von unten auseinandergefaltet, entblößt. Ein Canyon, den sie außer auf dieser Fotografie niemals gesehen hatte.
    Wenn sie die Aufnahme betrachtete, stellte sich unweigerlich eine Empfindung innerer Ruhe ein, die von der Nähe zum Unendlichen herrührte, aber auch von dem Gefühl, haltlos zu fallen, erst schreiend über die Felskante zu rutschen und dann die Kontrolle über Zeit und Raum, Himmel und Erde, Stein und Wasser zu verlieren, zu verweilen, die Augen zu schließen.
    Immer wieder hatte sie sich beim Betrachten des Bildes in den letzten Tagen gefragt, ob man bei Bewusstsein war, wenn man auf der Erde aufschlug oder einen die Schutzmechanismen des Körpers ohnmächtig werden ließen, und ob man versuchte, den Sturz zu steuern, seine Arme auszustrecken und zu flattern wie ein Vogel.
    Andreas hatte ihr einmal erzählt, dass Katzen jeden Sturz überlebten, es sei denn, sie fielen aus dem dritten Stock. Wenn sie aus niedrigerer Höhe fielen, schafften sie es, sich umzudrehen, und überlebten, weil sie nicht so schnell wurden. Fielen sie aus größerer Höhe, hatten sie Zeit, den Sturz abzubremsen, indem sie ihre Beine ausstreckten und auf dem Brustkorb landeten. Bei einem Sturz aus dem dritten Stock blieb der Katze jedoch keine Zeit, den Fall abzubremsen, und sie schlug mit höchster Geschwindigkeit auf.
    Der Grand Canyon blieb unvorstellbar. Wie tief mochte er sein? Konnte man ihn in Stockwerken messen, mit einem Haus vergleichen? Eine Antwort in Metern wäre sinnlos, es gäbe nichts, was man zum Vergleich heranziehen könnte. Sie fragte sich, ob Andreas die Antwort gewusst hätte.
    Ihr selbst würde es nie einfallen, auf den Eiffelturm oder ein anderes hohes Gebäude zu steigen. Es lag nichts Verlockendes in dem Gefühl, in den Abgrund gezogen zu werden.
    Eines Tages waren Andreas und sie über eine Brücke gegangen, wahrscheinlich in Göteborg, obwohl sie sich nicht mehr erinnerte, welche Brücke es gewesen war. Jedenfalls hatte sie sich der Aufgabe nicht gewachsen gefühlt, sie zu überqueren. Sie hatte sich an Andreas geklammert, und es hatte eine ganze Weile gedauert, bis ihm klar geworden war, wie sehr sie sich fürchtete. Sie hatte gewusst, dass die Sinne ihr einen Streich spielten. Ging man mitten auf einer Brücke, konnte man mühelos geradeaus gehen. Nahm man aber die Geländer fort und machte die Brücke schmaler, bis sie nur noch einen Meter breit war, erschien es einem unmöglich, sie zu überqueren, obwohl man eigentlich den nötigen Platz hatte, um wie immer zu gehen.
    Auf die Sinne war kein Verlass. Das wusste sie. Sie verführten einen, in völlig normalen Verhältnissen Gefahren zu wittern.
    Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie Andreas zuliebe kämpfte, weil es dann so war, als würde es ihn noch geben. Vielleicht sollte sie das Ganze lieber aufgeben und Andreas sich selbst überlassen. Es wurde Zeit, nach Hause zu fahren.

Lieber Bruder …
    Beim Lesen von Büchern hat es mich immer fasziniert, wer sie geschrieben hat. Das gilt für Romane, aber auch für wissenschaftliche Werke und Biografien.
    Es steht immer jemand hinter den Worten. Dieser schwer erklärbare Jemand .
    Allem, was ich von dir gelesen habe, ist deine unverwechselbare Stimme eigen gewesen. Vor allem, wenn ich wusste, dass du über Menschen geschrieben hast, die ich kannte. Ehrlich gesagt finde ich es ein bisschen rücksichtslos von dir, uns für deine

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