Ein unversoehnliches Herz
mal?«
»Spinnst du?«, sagte er und lachte und hustete abwechselnd. Die liebkosende Bewegung war nun in ein Kitzeln übergegangen, und er bekam sie zu fassen und schaffte es, auf die Knie zu kommen.
»Oh nein, meine Liebe, jetzt muss ich arbeiten!«
»Ja, das musst du. Konzentrier dich auf deine Arbeit und ignorier mich völlig.«
Er wusste, dass sie die Enttäuschte nur spielte, und liebte sie dafür. Sie streichelte seine Wange mit dem Handrücken, der über seine Bartstoppeln schabte. Andreas schloss die Augen, öffnete sie wieder und sah erneut ihr feines Lächeln. Er spürte, dass ihm dank ihrer anspruchslosen Zärtlichkeit, mit der sie ihm sagte, dass er jemand war und dass sie ihm vertraute und seine Bedürfnisse und Unzulänglichkeiten kannte, ganz warm wurde.
Sie standen auf und zogen sich an. Madeleine pfiff vor sich hin und kehrte in die Küche zurück, Andreas ging ins Arbeits zimmer, in dem er seine neue Schreibmaschine aufgestellt hatte. Er liebte sie und fand, dass sie ihm das Schreiben erleichtert hatte, vor allem, wenn es um Korrekturen ging. Er hatte Poul schon lange davon zu überzeugen versucht, seine öfter zu benutzen, statt Briefe in einer künstlerischen Handschrift zu verschicken, die sich kaum entziffern ließen.
Er spannte ein neues Blatt in die Rolle ein. Nachdem er eine halbe Seite geschrieben hatte, hielt er inne und warf einen Blick auf die Uhr. Sehr gut, es blieben ihm noch vier Stunden, bis er nach Långholmen aufbrechen musste. Das sollte ihm genügend Zeit geben, den Abschnitt fertigzuschreiben und sich auf das Gespräch vorzubereiten. Er hatte dieses eigentümliche Gefühl, dass ihm die Worte in den Sinn kamen, wie sie sollten.
Urplötzlich war es ganz simpel, seine Überlegungen auf die Finger zu übertragen. Als lägen die Gedanken, einer nach dem anderen, zur Niederschrift bereit. Er hatte ein bisschen das Gefühl, an der Schreibmaschine zu sitzen in seinem halb zugeknöpften Hemd und das Diktat eines höheren Wesens aufzunehmen. Solche Augenblicke wie dieser erinnerten ihn daran, wie es sein musste, wenn man sich in der Wüste verlaufen hatte und jemand einem das Gesicht mit frischem, kühlem Wasser benetzte.
Er hörte Madeleine in der Küche rumoren, lächelte beim Schreiben, sah sich nicht einmal richtig an, was er zu Papier brachte, ließ die Worte einfach kommen, die Reihenfolge stimmte, niemals hätte er sie anders aneinanderreihen können. Sobald ein Blatt voll war, tauschte er es gegen ein neues aus und schrieb ohne Unterbrechung weiter.
In diesen Momenten war er nur jemand, durch den die Worte hindurchgingen, als existierte er nur, um ihrer Entstehung beizuwohnen.
Bernt Gunnarsson hatte ein kindliches Gesicht: Obwohl er bereits dreißig Jahre alt war, wirkte er nicht wie ein Erwachsener. Er war sechsundzwanzig gewesen, als er den Mord begangen hatte, und saß seit vier Jahren im Zentralgefängnis auf Långholmen, in den ersten drei Jahren wie jeder Mörder in Isolationshaft.
Wenn Andreas ihm gegenüber hockte, fiel es ihm schwer, sich den geringen Altersunterschied zwischen ihnen vorzustellen. Er sah in Gunnarsson einen kleinen Jungen, dem jegliches Selbstvertrauen fehlte: der flackernde Blick, die unruhigen Hände, die ruckhaften und dauernden Veränderungen seiner Sitzhaltung, das vogelartige Zusammenkauern.
Es stellte sich die Frage, wie viel davon auf angeborenen körperlichen Defekten beruhte und wie viel sich auf schlechte Einflüsse der Umgebung in seiner Kindheit zurückführen ließ. Bernt Gunnarsson war aus diversen Gründen ein typischer Vertreter jener Kategorie von Mördern, denen es an Selbstvertrauen mangelte und deren Lebensmut unter moralischer Auflösung und Zermürbung litt.
»Sie wirken heute so unruhig, Gunnarsson«, sagte Andreas, während er sämtliche Papiere aus seiner Tasche auf dem Tisch deponierte und den Federkasten herausholte und öffnete.
Er bekam keine Antwort, sah jedoch, dass das leichte Kauen auf der Unterlippe intensiver wurde.
»Ist etwas passiert?«, fragte er in dem Versuch, Gunnarsson zum Sprechen zu bewegen.
Er wusste, hier war das richtige Maß an Vertraulichkeit gefragt.
Bernt schüttelte den Kopf. Dann, unmittelbar danach, nickte er jedoch.
Andreas hob die Augenbrauen, legte den Stift weg, faltete die Hände und legte das Kinn auf sie. Er wollte deutlich machen, dass er nicht in Eile war, sie hatten alle Zeit der Welt.
»Was ist passiert?«
Bernt presste demonstrativ die Lippen zusammen.
Im nächsten
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