Ein unversoehnliches Herz
geschnitten hast. Und dass die Wunde sich von Neuem öffnet und aus den Schnitten in der Haut das Blut langsam hervorquillt.
Ich will doch nur, dass sie mich sehen will,
wenn ich wieder herauskomme, wenn ich begnadigt werde.
Stockholm, 11. September 1913
Andreas und Amelie. Poul und Gunhild. Als sie sich durch die Liebe zwischen Andreas und Amelie 1901 kennenlernten, waren sie alle ungefähr zwanzig Jahre alt – außer Gunhild, die zwanzig Jahre älter war.
Aber es kreuzten sich auch die Wege zweier Familien: Bjerre und Posse.
Übereinander wussten sie Folgendes:
Andreas und Poul waren die Söhne von Sören und Sophie Bjerre, beide gebürtige Dänen, aber wohnhaft in Göteborg. Der Vater war ein äußerst angenehmer und beliebter Geschäftsmann, der sein Vermögen damit gemacht hatte, Butter nach England zu exportieren. Er war ein Mann der Wirtschaft, interessierte sich für Literatur und hatte eine Vorliebe für französische Romane. Die Mutter war schweigsamer und reservierter, in ihrem Freundeskreis, der allerdings erstaunlich klein war, wenn man ihre soziale Stellung bedachte, jedoch beliebt. Andreas und Poul hatten zwei wesentlich ältere Schwestern, Ellen und Maria, die beide verheiratet waren.
Amelie war die Tochter Gunhilds, Witwe des Eisenbahnbauers Graf Fredrik Arvidsson Posse, der 1897 nach längerer Krankheit gestorben war. Sowohl sie als auch ihr Gatte hatten berühmte Väter: Sie war die Tochter Gunnar Wennerbergs, des Politikers und Dichters, der Kultusminister, Gouverneur der Provinz Kronoberg und Mitglied des Parlaments sowie der Schwedischen Akademie gewesen war, und er war ein Sohn des früheren Premierministers Arvid Posse. Die heftigen Wortgefechte der Väter waren legendär, vor allem zu der Zeit, als Posse Vorsitzender des Staatsausschusses und Wennerberg Minister in Adlercreutz’ konservativer Regierung gewesen war. Gunhild und Fredrik hatten drei Kinder: Amelie, Arvid und Mauritz.
Familie Bjerre und Familie Posse. Nichts war gekommen wie geplant. Als Andreas und Amelie in den Flitterwochen waren, erreichte sie ein Brief, aus dem sie erfuhren, dass Poul um Gunhilds Hand angehalten hatte.
Andreas’ Forschung ab 1905 hatte zum Ziel, mit Hilfe von Einzelgesprächen Straftäter zu beschreiben und zu kategorisieren. Anfangs konzentrierten sich seine Studien auf Diebe, später auf Mörder, die im Gefängnis Långholmen saßen und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren. Wie man sie voneinander abgrenzen konnte, erwies sich als die schwierigste Frage. Für Mörder gab es am Ende drei Kategorien: Selbstbetrug, Scheinleben und Angst.
Ähnlich war er bei seinem Beitrag zur Psychologie des Diebstahlverbrechens aus dem Jahre 1907 vorgegangen. Dieses Werk betrachtete er jedoch als Fehlschlag, was in erster Linie an den viel zu hoch gesteckten Ansprüchen lag, die er an sich gestellt hatte. Noch schlimmer war es mit der Abhandlung, die er zur gleichen Zeit verfasste und am liebsten ganz aus seinem Werkverzeichnis gestrichen hätte. Abgesehen davon, dass er sie peinlich und sinnlos fand, nannte er sie eine Anhäufung von »idiotensicheren Quasiuntersuchungen«. Der bloße Gedanke an sie ließ ihn schaudern.
Ihre Mängel hatten seine gesamte Karriere untergraben. Als die Zeit für seine Dissertation in Lund gekommen war, wurde er abgelehnt und musste sich an seinen Freund Stjernberg wenden, der Professor für Strafrecht an der Stockholmer Hochschule war. Letztlich scheiterte er jedoch auch dort bei dem Versuch, den Titel eines Dozenten zu erlangen. Eine Weile sah es so aus, als wäre seine akademische Karriere nicht mehr zu retten. In dieser Situation wechselte er die Strategie: Er verlegte sich auf unabhängigere Forschungen, die außerhalb der engeren akademischen Kreise lagen, die ihn verbannt und so viele andere aufgenommen hatten.
Bei der Arbeit an seinem neuen Buch hatte er aus früheren Fehlern gelernt. Diesmal würde er sich mehr Zeit für die Gespräche nehmen und das Buch klarer gliedern. Er spürte, dass er sich inzwischen auf seine Fähigkeit verlassen konnte, den Erzählungen der Insassen zu lauschen, die Täter relativ ungestört reden zu lassen und anschließend zwischen den Zeilen zu lesen. Kurzum, dem Ganzen so viel Zeit wie nötig zu geben.
In einem Brief an seinen Vater schrieb er: »Konfrontiert mit der überwiegenden Mehrheit ist der Eindruck, der sich einem aufdrängt: Degeneration, Schlaffheit und allgemeine Lebensuntauglichkeit, man meint zuweilen auf
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