Ein unversoehnliches Herz
war, nachdem ihn ein Mitinsasse freundlich angesprochen hatte. Er hatte geredet, als hätten sich ganz neue Perspektiven ergeben. Wahrscheinlich waren die freundlichen Worte genauso aus dem Zusammenhang gerissen gewesen wie die Szene mit dem Assistenten des Direktors.
»Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, haben Sie sich sehr aufgeregt, als wir über Fräulein Anna sprachen. Erinnern Sie sich?«
»Schon«, erwiderte Bernt nach einer kurzen Pause und kratzte sich erneut an der Nase.
»Haben Sie hinterher noch weiter darüber nachgedacht?«
Bernt schüttelte den Kopf.
»Sie war ein Flittchen, das es auf mein Geld abgesehen hatte«, sagte er mit eiskalter Stimme.
»Aber Sie waren ein bisschen in sie verliebt, oder etwa nicht?«
»Nein«, entgegnete Bernt kurz und sah weg.
»Aber Sie hatten über einen längeren Zeitraum hinweg geschlechtlichen Umgang mit ihr.«
»Davon sollte niemand etwas erfahren.«
Bernt sah immer noch weg.
Er saß steif, mit durchgedrücktem Rücken. Er kratzte sich nicht mehr, seine Hände hingen schlaff herunter. »Wäre sie nicht schwanger geworden, hätte keiner was gemerkt.« Er sah erneut Andreas an.
»Sie war nur an mir interessiert, weil ich den Hof erben sollte. Aber kein Mensch hätte sie akzeptiert, am wenigsten Mutter. Meine Familie besteht seit ewigen Zeiten aus Freibauern. Sie gehörte zur Klasse der Tagelöhner. Verstehen Sie, Herr Bjerre? Mit denen soll man keinen Umgang haben. Sogar die Kinder hätten mit dieser Schande leben müssen. Sie wäre nur eine vom Gesinde gewesen. Mutter hat mir einmal von meinem Cousin erzählt, er hatte einer von denen ein Kind gemacht. Sie mussten wegen der Schande nach Amerika auswandern.«
»Ich verstehe. Aber vielleicht ist es den beiden in Amerika ganz gut ergangen?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Es ist widerwärtig, Kinder mit ihnen zu bekommen. Sie zu heiraten ist unverzeihlich. Hier so gut wie in Amerika.«
Mittlerweile klang Bernts Stimme schneidend und verbittert. Der kleine Junge schien sich in einen anderen verwandelt zu haben, einen Menschen mit demselben unschuldigen Aussehen, aber den spitzen Worten und der gellenden Stimme eines völlig Fremden. Andreas fingerte an seinem Stift herum, beschloss jedoch, noch etwas zu warten, bis er sich eine Notiz machte.
»Fräulein Anna war in anderen Umständen, als sie von Ihnen ermordet wurde, Gunnarsson. War das der ausschlaggebende Punkt für Ihren Entschluss, sich ihrer zu entledigen?«
»Glauben Sie, Mutter würde sich freuen, wenn ich ihr einen Brief schreibe?«
»Das kann ich Ihnen nicht beantworten.«
»Aber glauben Sie das? Ja, wenn Sie es glauben … Herr Bjerre.«
Andreas seufzte schwer.
»Was haben Sie zu verlieren?«
»Dann glauben Sie also, dass sie sich freuen würde? Dass sie vielleicht kommen und mich … hier besuchen würde?«
Er sprach noch weiter, aber seine Sätze endeten in einem nahezu unhörbaren Gemurmel.
Andreas wartete lange, dann sagte er:
»Haben Sie Fräulein Anna ermordet, weil sie schwanger war?«
Er versuchte Bernt in die Augen zu sehen, aber dieser blickte zunächst fort und dann zu Boden, betrachtete seine Füße, die zu zittern begannen, es war, als hielte er den Takt mit ihnen, erst mit dem rechten Fuß, dann mit dem linken.
»Hat sich Ihre Mutter sehr aufgeregt, weil Sie Anna geschwängert haben?«, fragte Andreas, ohne den Blick abzuwenden.
Bernt sah weiter auf seine Schuhe und hielt den Takt. Aber er nickte und kniff die Lippen zusammen.
»Das sollte sie eigentlich nie erfahren«, erklärte er nach einer längeren Pause.
»Wie hat sie es herausgefunden?«
»Sie war eine Hure, wissen Sie das, Herr Bjerre?«
»Das haben Sie schon einmal behauptet. Rein technisch gesehen war Fräulein Anna dies jedoch nicht, Gunnarsson. Das wissen Sie, nicht?«
»Ihre widerliche Mutter hat einen Brief geschickt.«
Bernt legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke: »Ihre widerliche, widerliche, widerliche, widerliche …«
Er begann zu gurgeln, als spülte er sich den Hals aus. Anschließend verstummte er und richtete sich wieder auf seinem Stuhl auf.
Andreas sah auf die Uhr. Er hatte Kopfschmerzen und litt unter Atemnot.
Er hörte ein scharrendes Geräusch in den Ohren, das kratzte und ihn zusammenzucken ließ. Er wusste, welche Frage er stellen wollte, wusste, dass er sie umkreiste, um auf den Punkt zu kommen. Bernt löste etwas bei ihm aus.
Eine Art Widerwillen.
Jeder Besuch begann damit, dass er Sympathie für den
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