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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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Moment sagte er dann aber:
    »Ich habe am Montag den Assistenten des Herrn Direktor nicht gegrüßt. Ich habe gedacht, er würde mich nicht sehen. Aber was ist, wenn ich mich geirrt habe?«
    »Das ist jetzt vier Tage her. Er hat sicher nichts gemerkt«, antwortete Andreas mit freundlicher Stimme.
    »Ich habe die letzten vier Nächte kein Auge zugemacht.«
    Seine Stimme wurde erregt und sein Blick noch flackernder, als überwachte jemand ihr Gespräch. Aber sie waren allein, auch wenn vor der verschlossenen Tür ein Wachposten stand. Der Mann konnte nicht hören, worüber sie sprachen, darauf hatte Andreas bestanden.
    »Wenn der Assistent des Herrn Direktors mich wegen meines Versäumnisses anzeigt, werde ich zu einem Verhör geladen. Was soll ich dann sagen, Herr Bjerre? Man wird mich brandmarken und meine Strafe verlängern. Sie werden mich niemals begnadigen, und der Assistent wird dafür sorgen, dass die Wachen mir feindlich gesonnen sind und mich bestrafen. Was soll ich nur tun? Soll ich um ein Treffen bitten, um mich bei ihm zu entschuldigen? Und wenn es dafür nun schon zu spät ist?«
    »Wenn Sie möchten, kann ich ihn nach unserem Termin auf die Sache ansprechen.«
    »Könnten Sie das für mich tun, Herr Bjerre? Könnten Sie das?«
    »Selbstverständlich. Sie müssen doch schlafen, Gunnarsson. So geht es nicht weiter.«
    Bernt nickte gehorsam und richtete sich im Sitzen auf.
    Andreas schrieb in sein Notizbuch: Erneut deutliche Anzeichen von Angst angesichts einer Situation, die wahrscheinlich mit wirklichkeitsferner Einbildung vermischt ist. Ist bestrebt, Vorschriften penibler zu befolgen, als jemand dies tun würde, wenn der Grund dafür nur der ehrliche Wille wäre, sein Verbrechen zu sühnen oder zielstrebig darauf hinzuarbeiten, seine Strafe nicht zu verlängern. Obwohl er schnell schrieb, war seine Handschrift klar und deutlich.
    »Sie fürchten sich oft, nicht wahr?«, sagte Andreas. »Wie werden Sie von Ihren Mithäftlingen behandelt?«
    Bernt schwieg. Er sprach nicht gerne über »die anderen«. Sein ganzes Dasein kreiste darum, ihnen aus dem Weg zu gehen. Er hatte Angst vor ihnen und begriff nicht, was sie von ihm erwarteten. Er wollte es ihnen immer nur recht machen, am liebsten, indem er für sie unsichtbar war, eins wurde mit den Wänden und die Tage zählte, bis er wieder hinauskam, in die Freiheit.
    Andreas erkannte unverzüglich, dass er an dieser Stelle nicht weiterkam, und wechselte das Thema:
    »Haben Sie von Ihrer Mutter gehört?«
    Bernts Gesicht erhellte sich sofort.
    »Sie könnte vielleicht herkommen und mich besuchen.«
    »Das wäre sicher nett, nicht wahr? Wann haben Sie sich das letzte Mal gesehen?«
    Bernt blickte auf den Tisch hinab.
    »Seit meiner Verhaftung habe ich Mutter nicht mehr gesehen.«
    »Aber sie hat doch sicher die Gerichtsverhandlung verfolgt, oder nicht?«
    Bernt schüttelte den Kopf. Er kratzte sich mehrmals an der Nase, als gäbe es dort einen Fleck, der nicht wegging.
    »Aber Sie schreiben sich Briefe?«
    »Sie schickt mir einmal im Monat einen Brief. Es ist der einzige Moment, in dem ich wirklich glücklich bin. Ich lese jeden Brief hundert Mal, immer und immer wieder.«
    »Und wie oft schreiben Sie?«
    Bernt sah ihn verständnislos an.
    »Einmal im Monat?«
    Bernt schüttelte den Kopf, starrte mit abwesendem Blick die Steinwand an und sagte tonlos:
    »Ich habe Mutter noch nie geschrieben.«
    »Aber wenn Ihre Mutter Ihnen schreibt, würde sie sich doch bestimmt über eine Antwort von Ihnen freuen, oder nicht?«
    »Ich habe Angst, dass sie dann aufhören könnte, mir zu schreiben. Sie hat gesagt, dass sie mich nie mehr sehen will. Ich habe mehrmals versucht, ihr zu schreiben. Ich will doch nur, dass sie mich sehen will, wenn ich wieder herauskomme, wenn ich begnadigt werde.«
    »Ihnen ist natürlich bewusst, dass es lange dauern kann, bis Sie begnadigt werden?«
    Bernt nickte mehrmals, allerdings ohne seinen hoffnungsvollen Gesichtsausdruck fallen zu lassen.
    Andreas war sich nicht sicher, wie gut Bernts Zeitgefühl funktionierte, und beschloss, ihn nicht zu fragen, wie alt seine Mutter war. Es war vermutlich ziemlich unwahrscheinlich, dass sie zum Zeitpunkt einer möglichen Begnadigung noch lebte. Üblicherweise blieben Mörder fünfundzwanzig oder dreißig Jahre in Haft. Er machte sich deshalb eine zusätzliche Notiz, um sich an die Frage des Zeitgefühls zu erinnern.
    Er wusste, dass Bernt bei wenigstens einer ihrer Begegnungen ganz aus dem Häuschen gewesen

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