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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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kleinen Jungen empfand, und ehe er die Anstalt wieder verließ, verspürte er jedesmal Abscheu und hatte einen so widerwärtigen Geschmack im Mund, dass er mindestens zweimal stehen bleiben und tief durchatmen musste, noch ehe er die Långholmsbrücke erreicht hatte.
    »Ihre Mutter, Gunnarsson, liebt Ihre Mutter Sie?«
    Bernt sah ihn verständnislos an.
    »Hat Ihnen das solche Angst gemacht, dass Ihre Mutter Sie nicht liebt? Haben Sie begriffen, dass Sie einfach nur geliebt werden wollten und nie jemanden dazu bewegen konnten, Sie zu lieben? Außer Fräulein Anna, die sich in Sie verliebte. Mussten Sie Anna dafür bestrafen? Mussten Sie Anna ermorden, weil diese Frau Sie liebte, obwohl Ihre eigene Mutter es nicht tat? War der Fötus, den sie austrug, der Beweis dafür, dass Sie geliebt wurden? Haben Sie den Fötus verstoßen, um von Ihrer Mutter geliebt zu werden? War es so? Sind Sie fähig, jedes erdenkliche Verbrechen zu begehen, nur um von Ihrer Mutter geliebt zu werden? Und wenn ein anderer Mensch Ihnen mit Liebe begegnet, ist das dann eine Bedrohung dieser einzig wahren Liebe, der Liebe zu Ihrer Mutter? Wenn Sie aufwachen und Ihr Gesicht im Spiegel betrachten, sehen Sie dann ein ungeliebtes Gesicht, ein verstoßenes Gesicht, sehen Sie dann einen Blick, den Sie nicht wiedererkennen, einen Blick, von dessen Existenz Sie nichts wussten, einen Blick wie von einem Tier, tun Sie das, Gunnarsson, zweifeln Sie daran, überhaupt ein Mensch zu sein, denken Sie, dass Sie in Wahrheit ein Tier sind, ein wildes Tier, das Mätzchen machen kann, um geschätzt zu werden, das aber nie, niemals bedingungslos geliebt werden kann?
    Er wusste nicht, was von all dem ausgesprochen worden war.Das Kratzen in seinen Ohren war inzwischen so laut, dass er nicht mehr hörte, was er sagte, und Bernts Gesicht wurde immer schemenhafter, bis es sich vollständig auflöste und in der kahlen, weiß getünchten Steinwand hinter ihm verschwand.

II Eine Ehe ist gescheitert
(1912)
    Je näher man Rom kommt, desto mehr Ruinen fallen
einem ins Auge; das Erdreich ist gleichsam übersät
von ihnen.
    J. J. Björnståhl, Reisebriefe
    Rom, den 18. Februar 1772

Lieber Bruder …
    »Wir haben nötig, gegen uns redlich zu sein und uns sehr gut zu kennen, um gegen andre jene menschenfreundliche Verstellung üben zu können, welche Liebe und Güte genannt wird.«
    Schreibt Nietzsche. Dein vergötterter Nietzsche. Der Wahnsinnige. Der mich immer in den Wahnsinn treibt.
    Er meint, dass man redlich zu sich sein muss, um sich verstellen zu können, dass man sich verstellen muss, um redlich zu sein.
    Ich will dir mal was sagen, Poul, ich bin weder redlich noch verstelle ich mich, und wenn ich Nietzsche Glauben schenken darf, verstelle ich mich weder, noch bin ich redlich, wenn ich das sage. Von seiner Binsenweisheit ausgehend kann ich dir allerdings gestehen, dass ich mich mein Leben lang gefühlt habe, als kämpften diese beiden Kräfte in meinem Inneren. Aber wenn dieser irre Nietzsche heraufbeschwört, dass man das eine benötigt, um das andere zu erreichen, kann ich nur höhnisch grinsen. Für mich sind das alles nur Worte. Zwischen dir und mir war alles viel einfacher: Es gab eine höhere Wahrheit – deine Wahrheit. Es war das Vorrecht des großen Bruders zu fordern und die Schuldigkeit des kleinen Bruders zu gehorchen.
    Findest du nicht, man könnte meinen, dass wir über so etwas stehen sollten? Sollten wir das nicht, Poul?
    Es gab eine Zeit, in der du mir jedes neue Manuskript schicktest, ob es sich nun um anstehende Vorlesungen oder Bücher handelte, an denen du schriebst. Eine Zeit, in der du Wert auf mein Urteil legtest, mein »kritisches Auge«, wie du es nanntest. Doch je öfter ich Einwände erhob, desto weniger war dir daran gelegen, mir zuzuhören, du fandest, dass ich übertrieb, polemisierte, »Fehler suchte«. Die Zahl der Manuskripte wurde im Laufe der Zeit immer kleiner, bis schließlich gar keine mehr kamen. Du fuhrst zwar fort, mir bereits erschienene Bücher zu schicken, als wolltest du so unterstreichen, dass keine Möglichkeit mehr bestand, auf Änderungswünsche meinerseits einzugehen, so sehr du es auch gewollt hättest.
    Am Ende kamen auch die Bücher mit den schnörkeligen Grüßen auf dem Vorsatzblatt nicht mehr an.
    Stattdessen herrschte Schweigen zwischen uns.
    Das Schweigen, Poul – warum dieses eisige Schweigen?
    Warum ließen wir den brüderlichen Respekt vor der Arbeit des anderen zu Staub zerfallen? Einfach so. Indem du mich

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