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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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pulsierenden Licht hinter ihrem Körper vor dir. Im grellen Gegenlicht verschwimmt ihre Gestalt zunächst, sodass du die Augen zusammenkneifen musst, um mehr als ihre bloße Kontur zu sehen. Doch obwohl das Licht immer greller wird, kommt sie näher, bis sie dich fast völlig umschließt.
    Nun siehst du zum ersten Mal ihr Lächeln. Wenn sie ihren Schleier doch nur ein kleines bisschen anheben würde, denkst du, sodass du sie sehen dürftest. Du siehst, dass sich dein Mund bewegt, bitte fleht . Du befindest dich außerhalb deines Körpers, gleichzeitig bist du in ihm. Aber, Poul, warum bist du ein Kind?
    Ich verstehe das nicht, denkst du, warum bin ich ein Kind?
    Und d’Espérance lehnt sich über dich, legt die Hände an ihren Schleier und hebt ihn sachte, Millimeter für Millimeter. Schließlich erblickst du den unteren Rand ihrer Augen und danach ihre bezaubernden dunkelbraunen Augen und die schwarze Pupille, die im selben Takt wie das Licht im Hintergrund zu pochen scheint.
    Du streckst die Hand nach ihr aus. Aber obwohl sie direkt vor dir steht, scheinst du nicht wirklich ans Ziel zu gelangen. Dann siehst du auf einmal, dass sie nackt ist. Ihr milchweißer Körper löst sich vom Licht, und das Einzige, was nun wirklich sichtbar wird, ist ihr dunkles Geschlecht, das näher, immer näher kommt.
    Du wirst zu dem schwarzen Dreieck gesogen und weißt nicht, ob es bedrohlich oder verlockend ist.
    Ich bin kein Kind, nein, nein.
    Du versuchst etwas zu sagen, aber dein Mund bleibt offen wie vor einem Kuss. Als die schwarzen Schamhaare deine Nase kitzeln, schließt du die Augen und weißt, dass es auf der ganzen Welt nichts gibt, wovor du dich fürchten musst. Es herrscht vollkommene Dunkelheit – und gleichzeitig dieses weiße Pulsieren in Wellen –, und etwas umarmt dich inniglich. Dir wird ganz warm, und das Pochen, das zuvor so Furcht einflößend war, beruhigt dich auf einmal in all seiner Wärme, Geborgenheit, Umarmung.
    Und du kannst nicht aufhören, immer wieder das Gleiche zu denken.
    Ich bin ein Kind.

Eine Art Würde nur,
    ist das zu viel verlangt?
    Rom, 30. Juni 1912
    Amelie stellte Gläser und Teller auf den wackeligen Eichentisch, der als Esstisch herhalten musste, obwohl er eher als Abstellfläche gedacht war. Sie führte hüftenschwingend und vor sich hin pfeifend einen kleinen Tanz auf. Madeleine lachte und tanzte mit. Verglichen mit Amelies Üppigkeit wirkte ihre hagere Gestalt fast ein wenig komisch.
    »Gefällt dir mein Regentanz nicht?«, fragte Amelie.
    »Er ist fantastisch. Was meinst du wohl, wie enttäuscht die Götter sein werden, wenn sie nach diesem Auftritt keinen Regen zu Stande bringen!«
    »In Italien bekommt man immer, was einem versprochen wurde. Allerdings nur, wenn es um Inflation, Korruption und Fußball geht.«
    Mit diesen Worten huschte Amelie in die Küche, um zu schauen, ob die Tomatensauce fertig war. Sie griff nach dem Holzlöffel und probierte. Perfetto! Rasch schnappte sie sich den Topf mit den Nudeln – mit etwas Glück al dente –, übergoss sie mit der Tomatensauce, rührte um, salzte und pfefferte noch einmal mit ein paar kraftvollen Drehungen der Hand und bestreute das Ganze mit etwas Basilikum und Pecorino. Eine italienische Hausfrau würde sie vielleicht nie werden, aber sie kochte schnell und mit viel gutem Willen.
    Als die Mahlzeit auf dem Tisch landete und sich beide hingesetzt hatten, erhob Amelie ihr Glas und räusperte sich.
    »Einen Toast, Madeleine. Danke, dass du mir in diesen Tagen geholfen hast.«
    »Das war doch nicht der Rede wert …«
    »Still. Ich werde jetzt meine einfühlsame Dankesrede halten, bis die Nudeln kalt sind und nicht mehr schmecken.«
    Sie gönnte sich einen Schluck, ehe sie fortfuhr.
    »Ja … danke, das war es eigentlich schon, was ich sagen wollte. Meiner lieben, lieben und allerältesten Freundin. Und noch etwas. Wir haben uns jetzt genug über Andreas unterhalten. Heute Abend werden wir nur über dich und mich sprechen. Einverstanden?«
    »Mir soll es recht sein.«
    »Schön, dann lass uns jetzt essen!«
    Amelie tauchte die Spaghettizange ein und schöpfte Nudeln auf ihre Teller. Dass es spritzte und die eine oder andere neben dem Teller landete, schien sie nicht weiter zu stören. Madeleine konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Amelie von Minute zu Minute mehr italienisches Temperament entwickelte. Sie trank einen Schluck Wein und sah Amelie weitersprechen. Es fiel ihr schwer, ihrer Freundin zu folgen, wenn sie so

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