Ein unversoehnliches Herz
kommt mir alles so nah und doch so fern vor, wenn ich hier mit dir sitze. Ich freue mich so für dich. Für euch. Du und Andreas, ihr werdet ein wunderbares Leben führen. Andreas braucht jemanden wie dich. Ich bin mit seiner Traurigkeit und seinen Grübeleien nie zurechtgekommen, vielleicht war ich auch zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Verstehst du, was ich meine? Du darfst nicht glauben, dass ich unsere Liebe höher einschätze als eure. Du bist die Richtige für Andreas. Ich war es vielleicht, als wir jung waren, aber jetzt, so viele Jahre später, ist mir bewusst, dass die Sache von Anfang an verrückt war. Ich wünsche mir mehr als alles andere, dass dein Leben mit Andreas alles beinhalten wird, wozu ich nicht in der Lage gewesen bin.«
Nach diesen Worten schwiegen sie lange.
Madeleine spielte anfangs mit dem Besteck, ließ es schließlich jedoch liegen, trat zu Amelie, die auf ihrem Stuhl zusammengesunken war, und legte die Arme um sie. Amelies Schultern hingen herab, ihr Blick war auf die gegenüberliegende Wand gerichtet.
»Ich verstehe, dass es schwierig ist, darüber zu sprechen«, sagte Madeleine.
»Worüber zu sprechen?«
»Andreas.«
»Nein, ist es nicht. Andreas ist für mich ein abgeschlossenes Kapitel. Ich habe ihn zu den Akten gelegt. Genug damit!«
Amelie marschierte zum Reisegrammophon, das Gunhild ihr zum fünfundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Sie suchte eine Schallplatte heraus, kurbelte die Musik an, drehte den Schalltrichter in Madeleines Richtung und lachte laut.
» Everybody Two Step «, sagte sie und machte ein paar flinke Tanzschritte. Madeleine klatschte im Takt. »Komm«, rief Amelie und zog den Kopf nach hinten, dass ihre Haare flogen, »komm und tanz mit mir!«
Madeleine stand auf, und Amelie griff nach ihrer Hand. Gemeinsam machten sie ein paar Schritte und führten abwechselnd. Amelie juchzte vor Freude, und Madeleine war es unmöglich, sich nicht mitreißen zu lassen.
Nachdem sie die Platte noch sieben Mal gespielt hatten, hatte sogar Amelie genug. Sie fielen sich verschwitzt und ermattet in die Arme. Amelie strich die Haare fort, die in Madeleines Gesicht gefallen waren. Beide merkten fast gleichzeitig, dass sie erröteten.
»Manchmal«, sagte Amelie mit atemloser Stimme, »habe ich gehofft, dass wir diese schrecklichen Dinge nicht durchmachen müssen.«
»Ja …«
»Ich meine … wir lieben den gleichen Mann, obwohl er in praktisch allen Belangen ein hoffnungsloser Fall ist. Ich wünschte nur … na ja, stell dir mal vor, wir könnten ihn zusammen haben.«
»Aber Amelie …«
»Ich weiß, ich weiß. Aber trotzdem, du und ich, wir haben so viel gemeinsam, Madeleine. Wir haben uns doch immer geliebt. Lange bevor Andreas auftauchte.«
Sie streichelte Madeleines Wange. Lange blieben sie so stehen, dann nahm Madeleine Amelies Hand in ihre und küsste sie zärtlich.
»Wir lieben uns doch«, sagte Amelie, den Tränen nahe. »Tun wir das nicht?«
»Doch, das tun wir«, erwiderte Madeleine.
»Und Andreas liebt uns beide.«
Madeleine nickte, ehe sie wegsah. Sie schaute aus dem Fenster und sah die schweren Regenwolken, die über der Stadt aufzogen. Die Schallplatte war längst zu Ende und schabte gegen das Etikett.
Plötzlich war sie vollkommen erschöpft. Sie betrachtete Amelie, die in den Sessel gefallen war und ihr Gesicht in den Händen verbarg. Ging zu ihr und küsste ihre Stirn. Sie war sich nicht sicher, aber es wollte ihr scheinen, als hätte Amelie sich zurückgezogen, kurz bevor Madeleines Lippen sie berührten.
Amelie blickte auf.
»Mitleid«, sagte sie, »habe ich immer als körperlichen Schmerz in der Kniebeuge gespürt. Hier!«
Sie zeigte auf einen Punkt genau in der Mitte der Kniebeuge, erst der rechten, dann der linken. Anschließend blickte sie auf und sprach in einem eher gereizten Tonfall weiter.
»Dieser Kerl da, Freud, ich habe es manchmal so satt, dass alles mit dem Sexuellen erklärt werden soll. Wie eintönig. Was man sagt und was man besser nicht gesagt hätte, immer bildet das Sexuelle das Fundament. Obwohl bei Andreas, ich weiß auch nicht. Bei ihm geht es … bei ihm dreht sich so viel um Sexuelles, ich kann es nicht erklären.«
»Wir wollten doch nicht über And …«
Amelie wischte Madeleines Einwand mit einer Handbewegung zur Seite.
»Andreas’ beste Eigenschaft ist es, kompromisslos ehrlich zu sein. Den Preis dafür zahlt er natürlich selbst. Keiner kann so hart mit sich selbst ins Gericht gehen wie er. Schon als er
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