Ein unversoehnliches Herz
explodierte. Das Abendessen nahm man mindestens vier Stunden später zu sich, als es zu Hause in einer schwedischen Familie üblich war.
Was heißt hier eigentlich zu Hause, dachte Amelie. Das hier war jetzt ihr Zuhause.
Weiter draußen wurde die Strömung stärker, wodurch das Schwimmen jedoch nur noch mehr Spaß machte. Durch die Brücke entstanden zudem höhere Wellen und ein Widerstand, und wenn man wollte, konnte man sich von den Wellenbewegungen mitreißen lassen. Amelie und Madeleine legten sich auf den Rücken und ließen sich, abgesehen von leichten Korrekturen mit den Händen, an der Oberfläche treiben. Sie fühlten sich schwerelos.
»Kein Mensch hat geglaubt, dass ich die Geburt überleben würde«, sagte Amelie. »Sie mussten so viele Zangen benutzen, dass mein Kopf ganz deformiert war. Geatmet habe ich auch nicht. Es heißt, dass Vater meine Lunge zum Arbeiten brachte, als er mir seine Pfeife in den Mund steckte und ich daraufhin husten musste. Zu allem Überfluss habe ich mir mit Sicherheit eine Chloroformvergiftung eingehandelt. Wenn die Kleine überlebt, meinten die Ärzte, wird sie bestimmt ein Idiot sein.«
Sie lachte und ergänzte:
»Man sieht ja, was dabei herausgekommen ist!«
Auf einmal merkten sie, dass die Strömung sie ein großes Stück flussabwärts getrieben hatte. Als sie die Köpfe hoben, konnten sie die Badestelle nicht mehr sehen. Sie beeilten sich, mit kräftigen Schwimmzügen ans Ufer zu gelangen. Zurückzuschwimmen kam nicht in Frage, das hätte kein Mensch geschafft. Aus der Strömung in der Flussmitte herauszukommen, fiel ihnen schon schwer genug. Am Ende gelang es ihnen jedoch, in ruhigeres Wasser in Ufernähe zu schwimmen. Das nächste Problem bestand darin, eine Stelle zu finden, an der sie an Land gehen konnten. Das Ufer war entweder zu steil oder ihnen stand ein Gebäude im Weg. Schließlich fanden ihre Füße Halt auf dem Grund und sie stellten sich ins Wasser. Madeleine trat gegen einen Stein und schrie auf. Ein Zehennagel war eingerissen, und sie blutete.
»Das ist doch mal wieder typisch für mich, in so eine Situation zu geraten«, erklärte Amelie vorwurfsvoll.
»Ach Unsinn, das haben wir ja wohl gemeinsam hinbekommen.«
»Stimmt, aber so was passiert mir andauernd. Irgendetwas sagt mir, dass dir das seltener passiert.«
Endlich fanden sie eine Stelle, an der sie an Land gehen konnten. Madeleine humpelte aus dem Wasser.
»Ist halb so wild«, erklärte sie und lächelte schief.
Amelie bückte sich und betrachtete den Zehennagel. Er sah nicht besonders schlimm aus, aber die empfindliche Haut darunter lag bloß und musste verbunden werden. Als sie sich wieder aufrichtete, wurde ihr bewusst, dass sie nahe der Straße waren, die am Fluss entlangführte. Kurze Zeit später waren sie zu einer Touristenattraktion geworden. Die Männer riefen ihnen hinterher, wenn sie auf Fahrrädern, Pferdekarren oder in ihren Autos vorbeikamen. Sie waren von einem Sammelsurium aus Stimmen und Aufmerksamkeit umgeben.
Noch nass und mit tropfenden Badeanzügen machten sie sich auf den Weg. Da sie barfuß waren, mussten sie darauf achten, wohin sie ihre Füße setzten. Sie hatten beide kaum Hornhaut unter den Füßen und wenn sie mit ihren Fußsohlen auf einen scharfen Stein traten, durchzuckte es sie jedesmal schmerzhaft. Leute blieben stehen und beobachteten sie, als sie vorbei gingen, ein paar Jungen pfiffen anzüglich.
Amelie packte Madeleines Arm und sagte:
»Wir werden hoch erhobenen Hauptes gehen und uns nicht schämen. Wir haben das Recht, so gekleidet herumzulaufen, wie es uns passt.«
Madeleine nickte, hätte jedoch alles dafür gegeben, nach nur wenigen Tagen in Rom nicht in einem tropfenden Badeanzug und mit verletztem Fuß zur Touristenattraktion der Stadt zu werden.
Sie erkannten schon bald, dass der Rückweg zum Strand sehr weit war, und wegen Madeleines Fuß und dem unebenen Untergrund kamen sie nur langsam voran. Die Sonne brannte auf sie herab, sodass sie binnen kürzester Zeit zunächst trocken und anschließend verschwitzt waren. Beiden setzte die Sonne zu, vor allem im Nacken.
Sie gingen Häuserblock um Häuserblock, kamen dem Badeplatz offenbar jedoch kaum näher. Es erschien ihnen unfassbar, dass sie so schnell so weit abgetrieben worden waren. Außerdem bekamen sie allmählich Hunger und dachten an den kleinen Picknickkorb, der sie bei ihren Kleidern erwartete.
Da die Uferlinie in Kurven verlief und sie zuweilen zwang, zwischen den Häusern und Straßen
Weitere Kostenlose Bücher