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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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aufgedreht war. So war es immer gewesen, schon in ihrer Kindheit. Damals war es für Madeleine selbstverständlich gewesen, in Amelies Schatten zu stehen.
    »Dabei wollten wir doch zusammen nach Kopenhagen gehen!«
    Amelies Ausruf riss Madeleine aus ihren Gedanken. Kopenhagen , dachte sie. Das schien eine Ewigkeit zurückzuliegen. Als wäre es in einem anderen Leben gewesen.
    »Na ja, Kopenhagen«, sagte sie zögernd. »Warum ist daraus eigentlich nichts geworden?«
    Amelie wirkte für einen Moment verwirrt. Erinnert sie sich wirklich nicht? , schien sie zu denken. »Nun«, meinte sie schließlich. »Du bist nicht mitgekommen, so war es doch. Ich musste alleine fahren.«
    »Stimmt. Das weiß ich auch noch … aber warum ich nicht mitgefahren bin, daran erinnere ich mich nicht mehr.«
    »Du hattest deinen unsäglichen Freiherren kennengelernt. Du musst dich doch erinnern, dass du und Wathier damals zusammen nach Marsvinsholm ziehen wolltet?«
    »Aber war das nicht später?«
    »Nein, war es nicht. Ihr habt geheiratet, als ich in Kopenhagen auf die Kunsthochschule ging. Wir hatten geplant, sie gemeinsam zu besuchen und anschließend nach Rom zu ziehen, berühmte Bildhauerinnen zu werden, wahnsinnig glücklich zu sein und alles miteinander zu teilen. Aber du bist nicht mitgekommen und hast stattdessen geheiratet. Aber jetzt sind wir zusammen in Rom, vielleicht nicht unbedingt berühmt und unter anderen Umständen, aber trotzdem …«
    Madeleine saß da und nickte schließlich. Sie lächelte, was Amelie zu beruhigen schien. Plötzlich war alles wieder da, die Zeit mit Amelie in Lund und ihr Entschluss, gemeinsam nach Kopenhagen zu ziehen.
    »Außerdem bin ich natürlich Andreas begegnet«, sagte Amelie, wie um Madeleine zu trösten, die erneut in Gedanken versunken war. »Habe ich dir eigentlich jemals erzählt, wie wir uns kennengelernt haben?«
    Madeleine schüttelte den Kopf. Amelie schien zunächst zu zögern, zuckte dann aber mit den Schultern.
    »Es war nach einer Vorlesung«, begann Amelie tastend.
    Dann lehnte sie sich weiter vor und rückte ihren Stuhl so, dass die beiden sich direkt gegenüber saßen.
    »Ich war auf dem Heimweg, als ich einem jungen Mann begegnete. Er war groß und sah aus wie ein Ausländer … du weißt schon, auf eine exotische Art, als wäre man einem fremden Diplomaten begegnet … er trug ein braunes Jackett mit einer Weste, die bis zum Kragen reichte. Außerdem hatte er einen Spazierstock dabei. Hast du das Bild nicht vor Augen? Da ging er nun, schwang seinen Stock, als gehörte ihm die ganze Welt. Freundlich grüßte er meinen Freund Holger. Ich dagegen wurde mit einem abschätzigen Blick abgespeist! Nach dieser Begegnung habe ich Holger natürlich nach diesem Fremden gefragt und erfahren, dass der junge Mann Andreas Bjerre hieß. Offenbar war er erst kürzlich aus Paris zurückgekehrt, was in meinen Augen wirklich beunruhigend war. Ich hatte schon sympathischere Männer als ihn als eitle Gockel aus Paris heimkehren sehen. Dennoch bat ich Holger, ihn mir bei nächster Gelegenheit vorzustellen. Das muss im Herbst 1901 gewesen sein. Es ist jetzt also über zehn Jahre her … wir sind uns dann an der Universität wieder begegnet und binnen kürzester Zeit gute Freunde geworden, haben uns regelmäßig getroffen. Ich erinnere mich beispielsweise, dass ich mein Portemonnaie verloren hatte, woraufhin er mir eines schenkte, das er in Paris gekauft hatte. Ich weigerte mich, es anzunehmen, nein, nein, sagte ich, aus diesem Brautgeschenk wird nichts. Aber wir sahen uns trotzdem – oft, bis irgendwann die Zeit dafür reif war, ihn Mutter vorzustellen. Auf dem Weg zum Zug unterhielten wir uns natürlich die ganze Zeit, sodass wir zu spät kamen und den Zug verpassten. Aber das interessierte uns nicht weiter. Stattdessen machten wir uns zu Fuß auf den Weg zu Mutter und redeten und redeten und redeten. Es war, als hätten wir uns tagelang in einem fort unterhalten können, die Worte sprudelten nur so aus uns heraus. Wie alt waren wir 1901? Ich muss siebzehn gewesen sein und er zweiundzwanzig, nein, dreiundzwanzig. So jung! Wir begriffen nicht, dass es bei unserer Ankunft dunkel sein würde. Als wir uns langsam dem Haus näherten, wichen wir außerdem vom Weg ab, gingen auf einen Bootssteg hinaus und setzten uns. Plötzlich saßen wir dort ganz still.«
    Amelies Gesicht veränderte sich. Ihr schien etwas bewusst geworden zu sein. Es zuckte ein wenig in ihren Augenwinkeln und sie wirkte traurig, so

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