Ein unversoehnliches Herz
mir in Lund den Hof machte, hat er mir von Sigrid Kylberg und ihrem gemeinsamen Kind erzählt. Ich hätte es natürlich auch so erfahren. Klatsch und Tratsch, das geht ruckzuck. So aber rührten mich seine bedingungslose Offenheit und seine schrecklichen Qualen angesichts seines Verrats an ihr. Er sagte, sowohl ihre als auch seine Eltern hätten damals gemeint, sie seien noch zu jung und sich deshalb gegen eine Heirat ausgesprochen. Ich glaube, sie hat das Kind in einer Pension in der Schweiz bekommen. Er ließ sich darauf ein, sie nie wieder zu sehen, wofür er sich immer gehasst hat. So etwas zu erzählen, während er mir den Hof machte, einer knapp zwanzigjährigen Frau! Er muss völlig verrückt gewesen sein!«
Sie sahen sich an und lächelten, waren jedoch weit davon entfernt, so zu lachen, wie Amelies Tonfall es suggeriert hatte.
»Wer hätte gedacht«, sagte sie mit leiser Stimme, »dass ich zehn Jahre später hier sitzen und ein eigenes Kind haben würde. Ein Kind, das nicht bei mir ist.«
»Verzeih mir.«
»Aber liebe Madeleine, du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen.«
»Natürlich muss ich mich entschuldigen.«
»Wenn wir Frauen uns immer für Dinge entschuldigen würden, die unsere Männer tun, hätten wir für nichts anderes mehr Zeit.«
»Ich bitte nicht für Andreas um Entschuldigung, Amelie. Sondern für mich.«
Sie senkten beide den Blick und schwiegen. Draußen hörte man die ersten Regentropfen fallen.
Amelie stand auf, stellte sich ans Fenster und zog die Stoffbahn etwas zur Seite, die als provisorischer Vorhang diente. Sie spürte ein paar Wasserspritzer, schloss die Augen und sog so viel wie möglich von den Regendüften der Stadt ein.
Anschließend drehte sie sich zu Madeleine um, die weiterhin im Sessel saß und sich seit ihren letzten Worten nicht gerührt hatte.
»Ich will nicht in Schweden leben. Aber ich will Teil von etwas sein, irgendwohin gehören. Verstehst du, was ich meine?«
Madeleine nickte, sah jedoch nicht auf, sondern starrte auf die Bodendielen, als studierte sie diese Nagel für Nagel.
»Eine Art Würde nur, ist das zu viel verlangt, ist es das, Madeleine? Und du weigerst dich, mich anzusehen. Findest du mich pathetisch? Ist es so? Weil ich über Andreas spreche … als wären wir noch ein Paar, obwohl wir das ganz offensichtlich nicht mehr sind … Findest du das? Tja, jetzt hast du Andreas ganz für dich allein. Ich hätte es wissen müssen. Ja, vielleicht habe ich es sogar immer gewusst, dass du mich hintergehen würdest.«
»Aber Amelie …«
Amelie hob die Hand.
»Nein, es ist einfach nur so, es ist so …«
Beide verstummten erneut. Gleichzeitig wurde der Regen immer stärker, der Wind immer stürmischer. Im Nebenzimmer schlugen mit einem Riesenknall zwei Fensterläden zu, aber keiner der beiden reagierte darauf. Stattdessen blickte jede in eine andere Richtung. Erst als der Wind alle Kerzen ausblies, standen sie auf, um die Fenster zu schließen. Sie bewegten sich geschmeidig und achteten darauf, einander in der Dunkelheit nicht zu berühren.
Madeleine sah nur Amelies Silhouette und hörte ihre tonlose Stimme, die sich mit dem Regen vermischte, der auf das Dach herabpeitschte, und mit dem Wind, der saugend nach den Häuserwänden griff.
»Das ist der Ort, an dem ich leben werde. Ich werde Sören Christer zu mir nehmen. Er und ich werden gemeinsam hier leben. Er kann nicht in Schweden bleiben, er wird dort niemals zurechtkommen. Andreas ist kein Vater für ihn, das ist er nie gewesen. Er will ihn nur ins Internat stecken, ihn nicht sehen müssen. Man kann keine Vatergestalt sein und die ganze Zeit nur an sich denken. Andreas sagt, er würde sich ja um Sören Christer kümmern, wenn er wegen der Unterhaltszahlungen nicht so viel arbeiten müsste, diese ewige Entschuldigung dafür, nicht anzupacken, was in seinem Leben wirklich wichtig ist. Er sagt, dass ich zu nett bin zu dem Jungen, dass ich ihn verwöhne. Ich glaube dagegen, dass Andreas insgeheim Angst vor Sören Christer hat. Auch ich habe Angst vor Sören Christer, meinem eigenen Kind. Im Gegensatz zu Andreas kann ich es zugeben. Ich sehe ihm manchmal in die Augen und denke, dass ich nicht weiß, wer im Inneren dieses Schädels haust, wer die Gedanken denkt, die Dinge sagt, für die man ständig Erklärungen zu finden versucht, für die man nachvollziehbare Gründe und eine Entschuldigung finden will. Er lügt in einem fort, und auch wenn ich ihn durchschaue, weil er ja noch klein ist, so
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