Ein unversoehnliches Herz
Vorwarnung, schlug sein Vater die Augen auf. Sören schaute sich um und lächelte daraufhin breit.
»Tja, wenn sich die ganze Familie versammelt hat, begreift man schon, dass man auf dem Sterbebett liegt«, sagte er und lachte, bis sein Lachen in einen keuchenden Hustenanfall mündete.
»Still«, sagte Sophie und verdrehte die Augen.
Sie mochte den »schwarzen Humor« ihres Gatten nicht.
Er tat ihre Ermahnung mit einer Handbewegung ab.
»Andreas ist auch gekommen«, sagte er und zeigte auf ihn. »Dabei habe ich immer geglaubt, er würde verkommen.«
Maria sprang von ihrem Stuhl auf und versuchte ihn zum Schweigen zu bringen. Ihre Mutter jammerte und Ellen protestierte lautstark:
»Aber Vater! So etwas kannst du doch nicht sagen. In Gottes Namen.«
Nur Poul und Andreas blieben stehen, ohne sich zu rühren. Andreas seufzte jedoch leise. Wie oft, überlegte er, hatte sich diese Szene schon abgespielt? Der einzige Unterschied bestand darin, dass sein Vater krank war, ansonsten war alles wie immer, vor allem Ellens christlicher Quatsch und ihr beseelter Blick. Ein Schauer lief durch Andreas’ Körper, als er daran dachte, dass es von Wiedersehen zu Wiedersehen schlimmer wurde. Sie war zu einem ermüdenden Zitatewörterbuch geworden, in dem Mary Baker Eddys Worte unabhängig vom Zusammenhang proklamiert wurden. Die Sorte Scheinheiligkeit, die in seinen Augen am schlimmsten war.
Sein Vater jedoch tat die Einwände seiner Töchter nur mit einem Schnauben ab.
»Ich meine es ernst. Ich habe immer geglaubt, dass Andreas dem Suff verfallen würde. Ich habe selbst zeit meines Lebens gegen den Alkohol gekämpft.«
»Aber das stimmt doch gar nicht!«, widersprach Sophie, während Ellen sich darüber ausließ, dass das Böse Materie war und nicht mental.
Andreas seufzte noch schwerer und wandte den Blick ab. Er biss sich auf die Lippe und hörte gleichzeitig Maria sagen:
»Aber Vater, du hast doch bloß zum Essen verdünnten Wein getrunken.«
»Das glaubst du doch selbst nicht, oder?«, erwiderte ihr Vater und lachte, bis er wieder einen Hustenanfall bekam, der so lange anhielt, dass Poul sich genötigt fühlte, zu seinem Vater zu gehen und ihm auf den Rücken zu klopfen.
»Das ist schrecklich«, sagte Sophie und packte Poul. »Es ist zum Verzweifeln, es ist einfach unerträglich! Poul, kannst du denn gar nichts tun? Wenn wenigstens ein Arzt da wäre. Der etwas tun könnte!«
Poul schloss die Augen, als würde er sie gar nicht hören, fuhr jedoch fort, seinem Vater leicht den Rücken zu tätscheln. Andreas konnte sich angesichts der absurden Szene, die sich vor seinen Augen abspielte, ein Lächeln nicht verkneifen. Es war schwer zu erkennen, wen das Ganze am meisten mitnahm, seine Mutter, seinen Vater, die Schwestern oder seinen Bruder.
Ein Zirkus, dachte er.
Dann ließ sich sein Vater in die Kissen zurückfallen und sah auf einmal schrecklich müde aus. Er schloss die Augen und atmete schwer. Er bat seine Frau, näher zu kommen, und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sophie kniff den Mund zu und nickte. Anschließend ging sie zu ihren Töchtern und bat diese, sie in den Salon zu begleiten. Die beiden schauten zunächst verständnislos, nickten dann aber und folgten ihrer Mutter.
Andreas ging zum Fenster und öffnete es einen Spalt. Poul setzte sich auf einen Stuhl. Ihr Vater schluckte mehrmals, ehe er mit erstaunlich klarer Stimme das Wort ergriff.
»Ihr dürft über eure Mutter nicht zu hart urteilen. Sie ist eine fantastische Frau, die für mich und euch große Opfer gebracht hat. Ich weiß, dass ich zu oft fort war, als ihr noch klein wart. Ich musste mich um die Geschäfte kümmern, immer diese Geschäfte … Aber eure Mutter hat sich niemals beschwert. Auch wenn sie manchmal ein bisschen steif sein kann, ich weiß, dass ihr das denkt. Ich war immer der Meinung, sie hätte euch strenger behandeln sollen, als ihr klein wart. Ihr müsst euch um sie kümmern, wenn ich es nicht mehr tun kann. Versprecht ihr mir das?«
»Ja, Vater«, sagte Poul und stand von seinem Stuhl auf. »Natürlich. Darum brauchst du dir keine Sorgen machen.«
Nachdem Sören Andreas angeschaut und gesehen hatte, dass auch dieser zustimmend nickte, schien ihn Pouls Antwort zufrieden zu stellen.
»Ihr vertragt euch doch jetzt?«, sagte er anschließend. »Es gefällt mir nicht, wenn ihr euch streitet. Ihr seid Brüder, vergesst das nicht.«
»Wir vertragen uns, Vater, du brauchst dir deshalb keine Sorgen zu machen«, sagte Poul und legte
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