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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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hatte.
    Wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam das Telefonat und zerriss sein gesamtes Dasein.
    Er antwortete:
    »Selbstverständlich, Poul. Selbstverständlich komme ich.«
    Andreas trat zügigen Schrittes auf die Straße hinaus. Er sah sich in beide Richtungen um, spürte den Schweiß unter den Armen und hoffte gleichzeitig, dass er es noch rechtzeitig schaffen würde. Er durfte den Zug nach Göteborg unter gar keinen Umständen verpassen. Poul hatte mit Sicherheit mehrere Behandlungstermine kurzfristig absagen müssen und würde außer sich vor Wut sein, wenn sie wegen ihm den Zug verpassten.
    Andreas dachte an das Telefonat zurück. Als Poul ihm von der schweren Erkrankung ihres Vaters erzählt hatte, war ihm dies im ersten Moment unwirklich vorgekommen. Pouls Stimme hatte sich nur so deuten lassen, dass kaum noch Hoffnung bestand. Sachlich erläuterte er, Doktor Belfrage habe angerufen und berichtet, die Erkältung ihres Vaters habe sich zu einer Lungenentzündung entwickelt. Zu allem Überfluss habe er einen schweren Herzanfall erlitten, dessen Folgen noch unklar seien.
    Sören Bjerre war der einzige Mensch, der Andreas immer unterstützt hatte. Ob er im Studium versagte, ob er unfähig war, auch nur eine Zeile zu Papier zu bringen, das spielte alles keine Rolle, Sören verzieh seinem Sohn und bat ihn, heimzukehren und sich auszuruhen.
    Andreas wusste, dieser Unterstützung war es zu verdanken, dass er überhaupt noch lebte.
    Einmal war das Vertrauen seines Vaters allerdings ins Wanken geraten, und zwar, als Sören von Andreas’ Scheidung erfahren musste. Er liebte Amelie wie seine eigene Tochter. Plötzlich musste Andreas die unversöhnliche Seite seines Vaters kennenlernen. Ihm wurde klar, dass er ihm aus Rolandseck, wo er den Sommer verbrachte, um an seinem Buch zu arbeiten, unverzüglich einen Brief schreiben musste.
    Lieber Vater!
    Ich habe Dir im Grunde nie sagen können, wie viel Du mir in all den Jahren der unendlichen Misserfolge und Qualen, der Angst und Selbstverachtung, bedeutet hast.
    Ich habe immer gespürt, dass Du mich trotz allem gern hattest und unverbrüchlich daran geglaubt hast, dass mir eines Tages in meinem Leben Erfolg beschieden sein würde und ich irgendwann ebenso viel leisten werde wie Du. Diese Jahre sind eine beständige Quelle des Leidens für mich gewesen, niemals habe ich Dir gegenüber auch nur das kleinste bisschen Erfolg in meinem Leben vorweisen können. Mein einziger Trost bestand in dem Gefühl, dass Du mich gleichwohl geliebt und Hoffnungen für meine Zukunft gehegt hast.
    Sollte es nun so kommen, dass ich durch meine eventuelle Scheidung von Amelie und mein Verhalten ihr gegenüber Deinen Glauben an mich verlieren würde und vielleicht auch Deine Achtung, und schließlich vielleicht sogar Deine Liebe zu mir, so wäre dies für mich ein schier unerträgliches Unglück und ein Fluch.
    Ich hoffe, dieser Brief wird Dir – so es mir denn gelingen sollte, ihn zu formulieren, wie ich es mir wünsche – genügend Einblick in alles Gewesene eröffnen, damit Du meine Handlungen anders beurteilen kannst als zuvor und den Glauben daran zurückgewinnst, dass es für Amelie wie auch für mich selbst eine Zukunft geben kann, obwohl es uns nicht möglich gewesen ist, sie gemeinsam aufzubauen.
    Zunächst möchte ich einen Umstand hervorheben, den man nicht außer Acht lassen sollte, wenn man gerecht urteilen möchte. So viel ich ihr auch an Schmerz zugefügt haben mag, am meisten darunter gelitten habe doch jedenfalls ich selbst . Und obwohl ich in all den Jahren zu verbergen versucht habe, wie gequält und zermürbt ich in meinen ständigen Misserfolgen und dem Gefühl meiner vollkommenen Lebensuntauglichkeit war, so ist Dir doch sicher trotz allem von den wenigen Malen, die ich zu Hause gewesen bin oder die wir uns in Kopenhagen getroffen haben, genügend in Erinnerung geblieben, dass Dir bewusst sein wird, die Folgen dessen, was ich tat – und nicht tat – trafen am härtesten mich selbst.
    Der Brief wurde nie beendet, nie abgeschickt. Statt sich zu erklären, verlor er sich in einer Menge unverständlicher Gedankengänge, die sich ein ums andere Mal wiederholten.
    Nun blieb ihm jedoch keine Zeit, an Briefe zu denken. Er musste pünktlich den Bahnhof erreichen. Er musste sich einreden, dass es noch nicht zu spät war. Es gibt noch Hoffnung , dachte er, eilte durch die Bahnhofshalle und warf einen hastigen Blick auf die große Uhr an der Fassade. Ja, es würde klappen, er hatte

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