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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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ihre Wünsche erfüllt, den perfekten Sohn gespielt, du hast mit ihr gescherzt, geklatscht und getratscht, wie sie es so gerne tat, du hast dich ihr anvertraut. Nichts hat geholfen.
    Dieser Gesichtsausdruck, mit dem sie dich immer ansieht, als wärst du ihr völlig fremd. Wie damals, als sie zum Abendessen nach Vårstavi kommen sollte: Es war alles vorbereitet, das Essen stand fertig, um serviert zu werden, ein vorbestelltes Taxi würde sie vom Hotel aus zu dir bringen.
    Dann kam der Anruf.
    Mutter: Was gibt es zu essen?
    Du: Hecht. Einen richtigen Brocken, Andersson hat ihn heute Morgen gefangen.
    Mutter: Hecht? Poul. Das geht nicht.
    Du: Warum sollte das nicht gehen? Du liebst doch Hecht.
    Mutter: Ja, aber nicht da draußen im … Niemandsland.«
    Du: Im Niemandsland? Meinst du Vårstavi?
    Mutter: Aber Poul, wenn ich nun eine Gräte verschlucke. Das wirst du ja wohl verstehen. Bis zum nächsten Arzt sind es doch zehn, zwanzig Kilometer.
    Du: Aber …
    Mutter: Nein, wir verschieben es auf ein anderes Mal.
    Sie ist nie gekommen. Und jetzt hörst du, begleitet von ihrem scheinheiligen Gesichtsausdruck und der üblichen Freundlichkeit, wieder ihre Stimme.
    Das wirst du ja wohl verstehen. Ihr Lieblingskommentar.
    Während du mitten in der Nacht aus dem Fenster schaust, erinnerst du dich an jedes Wort eures Telefonats. Es ist stockfinster, man sieht nichts. Du richtest dich wieder auf, setzt dich in Bewegung und bist schon an der Tür, als du merkst, dass du vergessen hast, deinen Bademantel anzuziehen.
    Du drehst dich um, hältst dann aber nochmals mitten im Schritt inne.
    Ich weiß, warum. Und ich weiß, dass du es weißt. Nach diesem Tag wird nichts mehr so sein wie früher. Nie mehr. Bald wird die ganze Welt zerbersten.

Aber die Sache mit Amelie … wir wissen doch alle,
wie schlimm es geendet hat,
wir müssen das Mädchen beschützen, seine Neue.
    Stockholm & Göteborg, 7. Dezember 1913
    In den letzten Tagen war ihm die Arbeit unerwartet leicht von der Hand gegangen, und nun schien ein weiteres erfolgreiches Tagwerk vor ihm zu liegen.
    Endlich, der Durchbruch !
    In der letzten Woche hatte er zum ersten Mal ernsthaft gespürt, dass er die Kraft haben würde, das Mörderbuch fertigzustellen. Endlich hatten die jahrelangen Interviews auf Långholmen ein deutliches Muster ergeben, endlich erkannte er, was er mit seiner Forschung beschreiben wollte. Inzwischen war er felsenfest davon überzeugt, dass sein Einteilungssystem einer kontinuierlichen Überprüfung standhalten würde. Wenn es ihm nur gelänge, in seinem Vorwort aufzuzeigen, wie es in einer späteren Phase – von ihm selbst oder von anderen – weiterentwickelt werden könnte, müsste es den erforderlichen Ausgangspunkt für das Kategorisierungsmuster bilden.
    Die Schwierigkeit bestand darin, die verschiedenen Gruppen von Mördern voneinander abzugrenzen, da viele von ihnen unter ganz ähnlichen Problemen litten. Er war wahrhaftig nicht der Einzige, der erkannt hatte, dass ein psychisches Leiden oft mit mehreren anderen in Verbindung stand. Wenn es um die Natur des Verbrechens ging, war es wichtig, sich nicht auf die Straftat und ihre Durchführung zu versteifen. Wenn man sich stattdessen darauf konzentrierte, die eigentlichen Ursachen zu verstehen, hatte man die Chance, in einer früheren Phase einzugreifen und somit schwere Straftaten abzuwehren, bevor sie begangen wurden. Zumindest würde man die Insassen so therapieren können, dass sie nicht rückfällig wurden, wenn man sie aus dem Gefängnis entließ.
    Und dann kam stattdessen der schreckliche Anruf.
    Bevor er an den Apparat ging, dachte er noch an seine Arbeit: die fast abgeschlossenen Interviews und das immer konkreter werdende Vorwort. Er durfte weder predigen noch akademisch werden, allerdings auch nicht zu locker und unseriös: der stringente und beherrschte Ton, den er inzwischen gefunden zu haben glaubte, der war es. Es war ein so herrliches Gefühl, dass er sich fast überirdisch fühlte! Und das hatte er alles Madeleine und ihrer unbeschreiblichen Fähigkeit zu verdanken, ihn arbeiten zu lassen, ohne die Unruhe heraufzubeschwören, die ihn sein ganzes Leben begleitet hatte.
    Wenn er seine Worte hinterher durchlas, schien ein anderer sie geschrieben zu haben, ein bedeutend scharfsinnigerer und kenntnisreicherer Mensch als er. Jemand, der ein Muster erkannte, wo er nur Einzelheiten gesehen hatte, jemand, der ein unausgesprochenes Wort zu deuten vermochte, wo er nur Schweigen wahrgenommen

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