Ein unversoehnliches Herz
ersetzen könnte.
Nein, du glaubst nicht, du weißt.
Mehrfach hast du betont, dass es dir ohne Gunhild unmöglich gewesen wäre, es zu schreiben. All die Stunden, die du an ihrem Bett gesessen und das Manuskript Wort für Wort mit ihr durchgegangen bist. Durch ihre Kommentare bist du dem Text auf eine Weise näher gekommen, die sonst undenkbar gewesen wäre. Es ist gar nicht mal so, dass sie viel sagt, meistens hört sie nur zu. Aber dann stellt sie eine Frage, und es gelingt ihr, einen Punkt anzusprechen, an dem du noch feilen musst. Sie besitzt eine eigentümliche Fähigkeit, solche Passagen aufzuspüren.
Wenn sie sich aufgesetzt hat, ist es Zeit, das Frühstück zu servieren. Der Tee steht schon bereit, ein Ei, etwas Brot, Butter und Käse. Sie isst immer weniger und stochert häufig nur im Essen herum. Du siehst, dass sie manchmal zu verbergen versucht, wie wenig sie hinunterbekommt. Dann legt sie ihr Besteck so, dass es die Brote möglichst verdeckt. Obwohl du sie nie nötigst. Sie isst, so viel sie kann und schafft.
»Lisa meinte, du hättest gestern Besuch gehabt«, sagt Gunhild und legt den Teelöffel weg.
Du bist ein wenig überrascht, lässt dir aber nichts anmerken. Schon merkwürdig, dass Lisa, die Krankenschwester, so etwas gesagt hat. Es gefällt dir nicht, wenn sie das tut, und es passiert auch nicht zum ersten Mal. Bei ihr sickert alles durch. Wenn du Besuch hast, möchtest du selbst davon erzählen und nicht, dass sie es in null Komma nichts ausplaudert. Aber sie führt sicherlich nichts Böses im Schilde, denkst du, es ist nur unglücklich, dass du jetzt in dieser Situation bist.
»Ja, richtig«, sagst du, »Madeleine war gestern hier.«
»Madeleine?« Gunhild verzieht das Gesicht, als wüsste sie mit dem Namen nichts anzufangen. »Meinst du Andreas ’ Madeleine?«
»Ja, genau, wir mussten ein paar Dinge besprechen … die liegen geblieben waren.«
Du hast ihr von mir, von meinem Tod nichts erzählt. Kein Wort. Du wolltest, aber dann erschien sie dir zu schwach. Und Gunhilds Gesundheit geht immer vor.
»Was meinst du mit liegen geblieben waren ? War Andreas auch da?«
Du lächelst und schüttelst den Kopf. Nicht weil du denkst, dass sie etwas dagegen gehabt hätte, wenn ich da gewesen wäre. Für so etwas ist sie inzwischen zu erschöpft.
Sie stellt keine weiteren Fragen, und du versuchst, ihren Blick zu deuten. Vielleicht glaubt sie, dass du so abweisend bist, weil du ihr vorenthältst, dass ich doch da war. Vielleicht glaubt sie, du wolltest nicht, dass sie es erfährt.
Dir drängt sich der Gedanke auf, wie unglücklich es doch ist, dass ihr jetzt über mich sprecht. In dir regt sich wegen Lisas Worten immer größerer Ärger. Du wirst sie darauf ansprechen. Beim nächsten Mal könnte so ein richtiges Missverständnis entstehen.
Wir müssen sie vor ihm schützen, erinnert
euch doch nur, wie sehr er Amelie verletzt hat.
Göteborg, 12. Dezember 1913
In den Nächten schlief Andreas unruhig, es fiel ihm wahnsinnig schwer, in der Wohnung an der Wasagatan zur Ruhe zu kommen. Die Geschehnisse des Tages schienen nachts in sein Bewusstsein einzudringen, und er erwachte jeden Morgen schweißgebadet wie nach einem Alptraum.
Letzte Nacht war er wieder Seekadett gewesen. In seinen Träumen schien er sich die ganze Zeit von außen zu betrachten. Als besäße er an der Spitze von Tentakeln die Augen einer Schnecke, die sich in alle Richtungen drehen ließen. Sein Gesicht veränderte sich jedoch laufend, im einen Moment war er zwanzig, im nächsten hatte er sein jetziges Gesicht. Manchmal kam es ihm vor, als wäre ihm eine weiße Haut über das Gesicht gestülpt worden.
Im Traum schob er auf dem Achterdeck eines Panzerschiffs Wache. Aus irgendeinem Grund war General Malm, der Befehlshaber der Fünften Division, an Bord. Als der General vorbeiging, kehrte ihm ein Matrose aus Unachtsamkeit den Rücken zu. Als der General den Matrosen erblickte, der es unterlassen hatte, sein Gewehr zu schultern, marschierte er zu Andreas.
»Und was sagt Seekadett Bjerre hierzu?«
Andreas antwortete, dass er versucht hätte, sein Bestes zu geben.
Der General sah ihn scharf an.
» Wobei hätte Seekadett Bjerre versucht, sein Bestes zu geben ?«
»Ich hätte versucht, mein Gewehr bestmöglich zu schultern, Herr General.«
Der General musterte ihn von Kopf bis Fuß, als suchte er nach Fehlern an seiner Uniform, und beendete seine Inspektion mit einem leichten Schnauben. Anschließend erhielt Andreas den
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