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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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sich um seine Kinder kümmern, man muss Verantwortung übernehmen.«
    »Ja, Vater, das muss man. Und du bist in jeder Hinsicht ein guter Vater gewesen.«
    »Jetzt schmeichelst du mir schon wieder so idiotisch. Hör auf damit. Ich will damit sagen, dass du dich um deinen Sohn kümmern musst. Ich möchte, dass dem Jungen alle Möglichkeiten offen stehen, die ich niemals hatte. Versprichst du mir das, Andreas?«
    Andreas nickte, lehnte sich zu seiner eigenen Überraschung vor und umarmte seinen Vater.
    »Andreas, ich möchte, dass du alles, was ich dir erzähle, eines Tages Sören Christer erzählst.«
    »Das verspreche ich dir.«
    »Ich weiß, dass du immer noch traurig bist, weil ich dich gezwungen habe, auf dein erstes Kind zu verzichten.«
    »Vater …«
    »Nein, du brauchst jetzt nichts sagen. Ich habe dich dazu gezwungen, aber es geschah zu deinem Besten. Wenn ich dich stattdessen zur Heirat gezwungen hätte, wäre das nicht gut für dich gewesen. Es war besser, das Kind aufzugeben. Du warst noch zu jung, zu unerfahren.«
    Andreas schüttelte den Kopf. Er wollte nicht darüber sprechen.
    »Ich sehe dir an, dass es dich immer noch aufwühlt. Ich werde dir etwas erzählen. Auch ich habe als junger Mann ein Kind aufgegeben.«
    Andreas blickte erstaunt auf.
    »Ich …«
    »Ich habe diese Entscheidung niemals bereut. Aber eins sollst du wissen: Bis mein Sohn mündig geworden ist, habe ich Unterhalt für Mutter und Kind gezahlt. Heute muss er allein zurechtkommen.«
    »Ich hatte keine Ahnung.«
    »Deshalb will ich es dir ja auch erzählen. Der Junge wurde außerehelich geboren. Er hatte ein Recht darauf, von mir versorgt zu werden. Aber er war niemals ein Bjerre. Bei deinem Kind war es das Gleiche. Ich habe dafür gesorgt, dass deine Unterhaltspflicht geregelt ist. Das habe ich dir damals versprochen, als ich dich zwang, das Kind aufzugeben.«
    Er griff nach Andreas’ Hand, schloss die Augen und atmete schwerer, der Unterkiefer fiel herab. Andreas fand, dass sein Vater unendlich müde aussah. Gleichzeitig war ihm nicht entgangen, dass sein Vater in einem Ton gesprochen hatte, den Andreas nur einmal zuvor in seiner Stimme gehört hatte.
    Damals hatte er Andreas klargemacht, dass er sein Kind aufgeben musste. Es war diese weichherzige, aber dennoch autoritäre Art zu sprechen.
    Die Augen noch geschlossen, sagte Sören mit langsamer Stimme:
    »Schneit es?«
    Andreas stand auf und ging zum Fenster.
    »Nein, es hat aufgehört.«
    Als er sich wieder umdrehte, schlief sein Vater bereits tief und fest. Kurz darauf ertönte das vertraute Schnarchen. Andreas lief im Zimmer umher, ihm ging vieles durch den Kopf, all das, worüber sein Vater hatte sprechen wollen. Madeleine, Amelie, Poul, Mutter … alle waren da. Und Sören Christer.
    Er trat ans Bücherregal, suchte zwischen den Büchern und zog Entweder−Oder heraus, ein Buch, das er mehrmals gelesen hatte. Er freute sich, es wiederzusehen. Als er es aufschlug, fiel ein Zeitungsausschnitt zu Boden.
    Er hob ihn auf und las: Hier stehe ich also in diesem bedeutungsvollen Augenblick dem lesenden Publikum gegenüber: Ich gestehe meine Gebrechlichkeit, ich habe nichts geschrieben, nicht eine Zeile; ich gestehe meine Schwäche, ich habe keinen Anteil an dem Ganzen oder an etwas davon – an keinem Teil, nicht im Entferntesten; sei stark, meine Seele, ich gestehe es, das meiste habe ich nicht gelesen.
    Es war nirgendwo notiert, aus welcher Zeitung der Ausschnitt stammte, aber jemand hatte in die obere rechte Ecke des kleinen, vergilbten Papierfetzens ein Datum gekritzelt: 12. Juli 1842. Andreas erkannte, dass es Kierkegaards Verteidigungsrede sein musste, in der er beteuert hatte, das Buch nicht geschrieben zu haben, obwohl jeder in Dänemark davon ausging.
    »Du liest«, hörte er in seinem Rücken und drehte sich um.
    »Ich habe mir ein Buch aus dem Regal genommen.«
    Andreas hielt das Buch hoch und fragte:
    »Bist du Kierkegaard jemals begegnet?«
    »Nein, und auch keiner meiner Bekannten. Als ich jung war, habe ich ihn nicht gelesen. Er war sicher ziemlich seltsam, der gute Søren Kierkegaard. Ich bin allerdings einmal Høffding begegnet, und der hat ja über ihn geschrieben.«
    Andreas sah seinen Vater kauen, als hätte er irgendwelche Essensreste im Mund − dieses seltsame Wiederkäuen, das ihn plötzlich unheimlich alt aussehen ließ. Andreas kam es vor, als hätte er den Mann, der dort im Bett lag, überhaupt nicht gekannt. Sicher, alles Vertraute war da, aber andererseits

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