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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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Rousseau damals nicht fortgelaufen wäre, hätte er sich wahrscheinlich bei einer anderen Gelegenheit aus dem Staub gemacht. Seine großen Werke hätte er bestimmt auch so geschrieben. Ich denke, dass die großen Genies ihre Werke immer schreiben. Es fällt mir jedenfalls schwer zu glauben, dass es einen Rousseau oder Schopenhauer geben könnte, der nichts zu Papier bringt.«
    Die Worte ließen seinen Vater schallend lachen.
    »Ich bin mir wirklich sicher «, erklärte er und sah Andreas in die Augen, »dass es viele große Genies gibt, die nie etwas anderes als Bürger geworden sind, weil sie um ihr tägliches Brot kämpfen mussten.«
    Auch Andreas lachte. Aber gleichzeitig verspürte er einen seltsamen Stich in der Brust. Die tragische Möglichkeit, dass Genies im Kampf ums Dasein untergehen könnten, war ihm noch nie in den Sinn gekommen. Das klang so unglaublich … so vergeblich .
    Sein Vater schlug einen anderen Ton an und betrachtete Andreas auffordernd.
    »Ich möchte dir von meinem Freund Julius Herold erzählen … es ist wichtig. Er war ein Junge in meinem Alter. Eines Tages schlug er vor, dass wir gemeinsam auf den Dachboden gehen sollten. Er hatte entdeckt, dass es sich angenehm anfühlte, wenn man das männliche Glied rieb.«
    Andreas konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ihre Unterhaltung hatte eine unerwartet absurde Wendung genommen. Er hatte nur kurz vorbeischauen wollen, fand sich nun jedoch in ein Gespräch verwickelt, das keiner früheren Unterhaltung mit seinem Vater glich. Sören ließ sich durch nichts mehr in Verlegenheit bringen, er flüsterte nicht einmal mehr, wenn er heikle Themen aufgriff, sprach im Gegenteil eher noch nachdrücklicher als sonst. Die Worte schienen förmlich aus ihm herauszusprudeln.
    »Ich wusste ja gar nicht, worüber er sprach«, fuhr sein Vater fort, »wollte lieber segeln oder rudern gehen. Ich glaube, ich war zehn, vielleicht auch elf oder zwölf. Ich will damit sagen, dass ich nicht das geringste Interesse an sexuellen Dingen hatte … ich begriff nicht einmal, was er meinte.«
    Er lachte laut, verstummte dann abrupt und sprach anschließend mit verkniffenem Mund weiter.
    »Aber nur ein paar Tage später spielte ich mit den Männern auf dem Hof Karten und verlor eine Menge Geld. Und da regten sich in mir zum ersten Mal sexuelle Gefühle.«
    Andreas wollte etwas sagen, aber sein Vater hob die Hand, um anzuzeigen, dass er noch nicht fertig war.
    »Bei der Gelegenheit musste ich dann auch erleben, was mir in vieler Hinsicht das Leben zur Hölle gemacht hat, diesen furchtbaren Juckreiz.«
    »Einen Juckreiz? Ich verstehe nicht …«
    Andreas’ Einwurf wurde von seinem Vater, der keine Zeit hatte innezuhalten, erneut abgetan. Er fuhr im gleichen sachlichen Tonfall fort.
    »Seit meiner Jugend habe ich an einem Juckreiz am Hodensack gelitten, der manchmal meinen ganzen Penis befallen hat. Es ist die größte Qual meines Lebens gewesen und ich habe nie darüber gesprochen, nicht einmal mit deiner Mutter. All die Jahre hat er mich wie ein Fluch begleitet. Ich erzähle das nicht, um dich in Verlegenheit zu bringen. Ich habe mir nur oft große Sorgen gemacht, ich könnte das Leiden anderen vererbt haben. Es brennt wie ein unerträgliches Feuer, und man muss sich ständig kratzen. Je mehr sexuelle Kraft man hat, desto schlimmer wird dieser Juckreiz. Verstehst du? Das ist fast noch das Schlimmste an der ganzen Sache, wie man ihn mit Sexualität in Verbindung bringen kann. Manchmal kommt er einladend daher, und ich fange an zu kratzen, was sich gut anfühlt, fast befreiend, ein Genuss an sich. Dann schlägt er jedoch zu, wird wund und hält sich wochenlang als offene, eiternde Wunde, die man kaum anrühren kann. Anschließend verheilt die Wunde langsam, bis es wieder anfängt zu jucken. Und es geht immer damit los, dass ich sexuell erregt bin.«
    »Ich habe … ich meine …«
    »Ich möchte, dass du Sören Christer davon erzählst. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Manchmal befürchte ich, dass er als Einziger den Namen Bjerre weiterführen wird.«
    Andreas nickte, blieb jedoch mit ausdrucksloser Miene sitzen. Die Enthüllung seines Vaters hatte ihn überrumpelt. Ihm fehlten die Worte.
    »Kannst du mir erklären, Andreas, warum sich zum ersten Mal sexuelle Gefühle in mir geregt haben, als ich mich darüber aufregte, dass ich Geld verloren habe? Ist das nicht seltsam? Ich begreife das nicht. Das kann ja wohl nicht der Grund dafür gewesen sein, dass ich reich

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