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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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mich verstieß. Meine Versöhnungsversuche führten nur zu neuen Anschuldigungen und Verbitterung. Meine Kreuzung aus Aufwiegler und Bürger war für dich nie leicht zu verstehen: der Aufwiegler in mir, der alles zerstören wollte, was der Bürger in mir aufbauen wollte.
    Du selbst hast es in dem Punkt bedeutend leichter gehabt. Forschung und Arbeit haben immer deiner »Liebe zum Menschen« dienen dürfen. Er ist in deinen Augen ein fantastisches Geschöpf und jede geistige Auseinandersetzung wert. Du warst immer der Meinung, dass ich stattdessen beschloss, auf ihn zu spucken.
    Gunhild liegt auf dem Rücken und atmet flach. Ihre Augen sind geschlossen, aber es zuckt ein wenig in den Augenwinkeln. Sie kann jeden Moment aufwachen. In den letzten Wochen hat sie mehr geschlafen als sonst, und du machst dir Sorgen, dass dies ein schlechtes Zeichen sein könnte. Nein, sei jetzt nicht negativ, denkst du. Es ist besser, die Sache bei Doktor Lenmalms nächstem Besuch sachlich anzusprechen, sonst kommst du nur ins Grübeln. Dass du selbst Arzt bist, macht die Sache nicht leichter, auch wenn du schon früh wusstest, dass du dich eher auf das Seelenleben als auf das rein Körperliche spezialisieren würdest.
    Du bist der festen Überzeugung, dass deine Arbeit bis weit ins nächste Jahrhundert hinein Bestand haben wird. Aber es gibt noch so viel zu tun, so viele verschiedene Ebenen müssen bearbeitet werden. Gleichzeitig kannst du nicht nur in deinem Büro sitzen und schreiben, du musst Patienten treffen, im Feld arbeiten. Das gibt dir im Übrigen vielleicht sogar am meisten: Menschen beeinflussen zu können und zu hören, dass sie zu einem erträglicheren Leben zurückgefunden haben. Manchmal reicht schon eine einzelne Therapiestunde, wenn eine Person mit Autorität und dem Blick eines Unbeteiligten eingreift.
    Manchmal gehst du stundenlang erfolgreiche Fälle durch. Wenn ein Mensch den Boden unter den Füßen verliert, pflegst du zu sagen, verschwindet als Erstes der Blick fürs Ganze. Es ist nahezu aussichtslos, in dieser Situation eine Position zu erreichen, die einem einen Überblick gewährt. Deshalb hast du dich wohl so abhängig von Doktor Lenmalm gemacht. Er hat nicht deine emotionalen Bindungen und kann deshalb besser eine Diagnose stellen. Man muss erkennen, wann man sich Hilfe holen sollte und wann man die Zähne zusammenbeißen und an sich arbeiten muss.
    Wieder betrachtest du Gunhilds Gesicht und siehst, dass sich ihre Lider bewegen. Sie wird jeden Moment erwachen. Du streichst ihr sachte über die Wange.
    »Bist du wach?«
    Das tust du immer. Denn dann weißt du, dass sie mit einem Lächeln aufwachen wird, was auch diesmal geschieht. Es ist ein Lächeln, das dich mit unbeschreiblicher Wärme erfüllt.
    »Guten Morgen«, sagst du und küsst sie auf die Stirn.
    »Guten Morgen.«
    Sie muss sich ein wenig räuspern, und ihre Stimme klingt dünn, wie hinter einer dicken Stoffschicht. Doch ihr Lächeln macht das Ganze trotzdem wundervoll. Du findest sie in diesen Momenten so schön. Als Nächstes hilfst du ihr, sich aufzusetzen. Sie versucht mitzuhelfen, aber du ermahnst sie, mit ihren Kräften hauszuhalten.
    Anschließend beginnt die alltägliche Morgenprozedur. Du hilfst ihr, Toilette zu machen, wechselst alle Laken, ziehst sie an. Währenddessen plaudert ihr, nichts von Belang. Du weißt, dass sie es hasst, so abhängig von dir zu sein, aber du bemühst dich nach Kräften, dich so zu geben, dass es ihr nicht unangenehm ist.
    Manchmal lacht sie ein wenig, was dich ganz besonders freut. Du könntest sogar so weit gehen zu sagen, dass dir bei diesen kurzen Gesprächen, in denen du ihr bei praktischen Dingen zur Hand gehst, mehr amüsante Einfälle kommen als zu jeder anderen Zeit des Tages. In letzter Zeit habt ihr euch mit dem Vortrag beschäftigt, den du im Rundfunk halten sollst. Zum ersten Mal wird ganz Schweden einer Rede über die Kunst der Seelenheilung lauschen können. Du bist ziemlich stolz auf diesen ehrenvollen Auftrag.
    Ansonsten diskutiert ihr die meiste Zeit Tod und Erneuerung , das Buch, von dem du von Anfang an wusstest, dass es dein Hauptwerk werden würde. Du spürst mit solcher Überzeugung, dass die Menschen dieses Buch für alle Zeit mit deinem Namen verknüpfen werden. Noch hundert Jahre nach deinem Tod wird man es diskutieren und deuten. Nichts kann dein Vertrauen in die durchschlagende Wirkung des Buchs erschüttern, dessen gedanklicher Kern die Bibel und alle anderen religiösen Schriften

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