Ein unversoehnliches Herz
werden wollte? Ich meine, es geschah doch ebenso sehr für die Familie wie für mich.«
»Nein, Vater. Das kann ich nicht. Ich …«
»Ich möchte, dass du es weißt, Andreas.«
Die Worte seines Vaters kamen immer schneller, überschlugen sich fast.
»Ich bin zu einem Geistlichen gegangen, um ihm von dem Juckreiz zu erzählen, aber er meinte nur, ich sei ein verdorbener Sünder. Diese verdammten Pastorenlügen schmerzen mich noch heute. Da stand er nun und spielte den verfluchten Heiligen und nannte mich verdorben . Du hättest sein scheinheiliges Gesicht sehen sollen. Dieser Blick, Andreas! Dieser Blick versetzt mir immer noch einen Stich. Was für eine verdammte Demütigung. Man darf die Dinge nicht weglügen, Andreas. Verstehst du, was ich meine? Ich will, dass du das verstehst.«
»Ja, Vater, ich verstehe sehr gut, was du meinst.«
»Ich finde nicht, dass der Hass weiterleben soll. Ich bin kein hasserfüllter Mensch. Ich will Liebe weitergeben. Als ich klein war, schenkte mir meine Schwester ein Stück Brot, was mein alter Herr mit der Bemerkung zu verhindern versuchte, ich hätte es nicht verdient. Daraufhin erwiderte meine Schwester, sie finde, es stehe mir nach der ganzen Schufterei auf dem Hof zu. Weißt du, was ich damals gedacht habe? Ich dachte, sollte ich jemals zu Geld kommen, werde ich immer für meine Schwester sorgen, was ich auch getan habe, bis zu ihrem Tod. Nicht wegen des Brots, sondern wegen der Liebe, die sie mir schenkte, die wollte ich zurückzahlen. Ich will mich an diesem verdammten Pastor nicht rächen. Ich will mich an meinem Vater nicht rächen, der mir meine Kindheit zur Hölle gemacht hat. Sie können unbesorgt in ihren Gräbern ruhen. Aber du musst mich verstehen, Andreas. Ich mache mir solche Sorgen, dass sich der Hass weitervererben könnte. Du und Poul … ihr habt es nie geschafft … nie miteinander reden können. Ihr habt es versucht, ich weiß, dass ihr das getan habt. Ich mache mir solche Sorgen um Sören Christer. All der Hass. Man sieht ihn überall, wohin man sich auch wendet. Das bringt mich zur Verzweiflung.«
»Um Sören Christer brauchst du dir nun wirklich keine Sorgen zu machen.«
»Aber was ist, wenn Amelie diesen Österreicher heiratet, oder was immer er noch war? Wirst du dich dann um den Jungen kümmern? Oder wird er weit weg von einem wildfremden Mann aufgezogen werden?«
»Das werde ich mit Amelie besprechen.«
»Tu das, Andreas. Sprich mit ihr. Die Zeit drängt.«
Sein Vater schloss die Augen und ergänzte mit wesentlich matterer und schleppenderer Stimme:
»Jetzt ist Schluss mit den Geheimnissen.«
Mit diesen rätselhaften Worten endete ihr Gespräch. Andreas hatte seinem Vater gerade von Madeleine und ihrer bevorstehenden Ankunft erzählen und ihm sagen wollen, wie wichtig es für ihn war, dass sich die beiden am späteren Nachmittag kennenlernten. Doch sein Vater war schon eingeschlafen.
Dieses Eintauchen in und Auftauchen aus dem Dämmerzustand …
Gleichzeitig war er beruhigt. Nur wenige Stunden zuvor, als er aus seinem schrecklichen Traum erwacht war, hatte er es wieder bereut gehabt, Madeleine gebeten zu haben, nach Göteborg zu kommen. Nun aber war er überzeugt, dass es das Beste war, was passieren konnte. Der einzige Mensch, der ihn wirklich verstand, würde die Frau kennenlernen dürfen, die er über alle Maßen liebte.
Es gab so viel, worüber sie noch sprechen mussten, so viele Geheimnisse, die nicht mehr vertuscht oder geleugnet werden mussten. Es ist ein Zeichen von Liebe, dachte Andreas und stand auf. Behutsam schloss er die Tür hinter sich und dachte daran, wie sehr er seinen Vater liebte, seine Herzlichkeit und unverwechselbare Art, einem sein Vertrauen zu zeigen.
Der Zug aus Stockholm traf mit mehr als einer Stunde Verspätung ein. Andreas ging schnellen Schritts an den Waggons entlang, wobei ihm der unverkennbare Geruch von Dampf und Steinkohle in die Nase stieg. Er wusste nicht, woran es lag, aber aus irgendeinem Grund beruhigte ihn dieser Duft. Mehrmals musste er auf und ab gehen, bis er Madeleine entdeckte. Sie stand im Gang und wartete darauf, aussteigen zu können. Ihr bloßer Anblick, weckte eine Wärme in ihm, die seinen ganzen Körper durchströmte.
Er lief zu ihr und hob sie auf den Bahnsteig herab. Sie umarmten sich, als wollten sie sich nie mehr loslassen, bis sie erkannten, dass sie im Weg standen und keiner aus dem Zug kam.
Er nahm ihren Koffer, und sie hakte sich bei ihm ein.
»Ich habe mir überlegt, dass
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