Ein unversoehnliches Herz
krochen auf ihn zu. Eine Weile war es ihm gelungen, sie fernzuhalten, aber sie kamen trotzdem, fraßen sich in ihn hinein.
Wir müssen sie vor ihm schützen, erinnert euch doch nur, wie sehr er Amelie verletzt hat.
Andreas versuchte nicht einmal, den Erstaunten zu spielen, als sie schweigend im Salon saßen. Wie hätte es auch anders ablaufen können? Seine Mutter mit ihrem Strickzeug. Allen, dachte er, wirklich allen ist klar, dass jede einzelne Stricknadel und jedes Wollknäuel in der Mülltonne landet, sobald diese schreckliche Situation vorbei ist. Keine einzige Frage hatte sie Madeleine gestellt, was er sich allerdings auch schon vorher hätte denken können.
Die arme Madeleine musste alles wehrlos über sich ergehen lassen.
Zwei Mal hatte er geschaut, ob sein Vater wach war. Aber Sören schlief tief und fest, und es war unmöglich gewesen, auch nur ansatzweise Kontakt zu ihm aufzunehmen. Außerdem musste er sich seiner Mutter gegenüber jedesmal rechtfertigen, weil sie fand, er störe seinen Vater und zeige kein Verständnis dafür, dass er ruhen musste. Wenn sie Verständnis dafür hat, überlegte Andreas, dass Madeleine den weiten Weg von Stockholm gekommen ist, so zeigt sie es jedenfalls nicht.
»Es ist nett von Ihnen, verehrte Sophie, dass ich Sie besuchen darf. Trotz der Krankheit Ihres Gatten, meine ich.«
»Von einer Einladung weiß ich nichts. Aber es ist nett, Sie hier zu haben. Andreas erzählt mir nie etwas. Das hat er noch nie getan.«
Ihr Blick blieb auf das Strickzeug gerichtet. Was für eine Farce, dachte Andreas und musste aufstehen, um seinen Ärger zu überspielen. Er schaute zum Fenster hinaus und hoffte, dass diese Qual bald ein Ende haben würde. Wenn Vater doch nur aufwachen könnte, dachte er. Und sei es auch nur für eine Minute, damit Madeleine ihm begegnen durfte. Danach konnten sie diese Höllenwohnung wieder verlassen. Als er sich zu Madeleine umdrehte, sah er ihren flehenden Blick.
Er beschloss, einen letzten Versuch zu machen.
»Ich werde mal nachsehen, ob Vater mittlerweile aufgewacht ist.«
»Bist du nicht gerade erst bei ihm gewesen?«, sagte seine Mutter, ohne aufzusehen.
Andreas zuckte mit den Schultern und ging.
Er öffnete die Tür, schloss sie lautlos hinter sich und trat zu seinem Vater, der noch genauso fest schlief wie zuvor. Andreas legte sanft die Hand auf seinen Arm und fragte ihn, ob er wach war. Sein Vater reagierte nicht. Daraufhin rüttelte er ihn etwas fester. Anschließend tätschelte er die Wange seines Vaters mit dem Handrücken.
»Bist du wach?«
Immer noch keine Reaktion. Er schlug ganz leicht zu.
»Vater?«
Er setzte etwas mehr Kraft ein, worauf sein Vater erste Anzeichen einer Reaktion zeigte. Es hob ein Lid leicht an, das etwas flatterte. Anfangs sah man nur einen Teil des Augapfels. Sören wirkte verwirrt, und es war schwer zu sagen, ob er überhaupt wusste, wo er war.
»Bist du das, Poul?«, fragte sein Vater mit belegter Stimme.
»Nein Vater, hier ist Andreas.«
»Andreas?«
Es wurde still. Sehr langsam wachte Sören ein wenig auf.
»Ich muss geträumt haben.«
»Aber jetzt bist du wach, Vater. Es ist jemand hier, der dich gerne sehen möchte.«
»Der mich sehen möchte?«
»Ja. Es ist Madeleine. Von der ich dir schon so viel erzählt habe.«
»Ich kenne keine Madeleine. Oder etwa doch?«
»Madeleine, meine Frau. Ich möchte so gern, dass du sie kennenlernst.«
»Aber Andreas, du bist doch geschieden.«
»Nein, das bin ich nicht. Besser gesagt … ich bin wieder verheiratet.«
»Und was ist mit Amelie?«
»Wir sind geschieden, Vater. Das weißt du doch.«
»Das tut mir leid. Daran erinnere ich mich gar nicht. Ich würde lieber Amelie treffen. Ist sie hier?«
»Nein, ist sie nicht. Madeleine ist hier und möchte dich gerne treffen.«
»Ich bin so müde, Andreas. Sind die anderen auch hier? Ist Poul hier?«
»Poul ist nach Stockholm zurückgefahren.«
»Er hat immer schon zu viel gearbeitet. Genau wie ich. Ich habe immer zu viel gearbeitet und anderes vernachlässigt, was ich hätte tun müssen.«
Andreas wusste nicht, was er machen sollte. Warum konnte sein Vater nicht wach werden und wie immer sein?
»Möchtest du einen Schluck Wasser, Vater?«
»Nein, ich muss mich ausruhen. Ich bin furchtbar müde.«
»Ich gehe jetzt Madeleine holen. Sie möchte dich so gerne treffen. Kannst du dich bitte so lange wachhalten? Wenn du bloß ein freundliches Wort zu ihr sagen könntest.«
»Ist sie hier?«
»Ja, im Wohnzimmer.
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