Ein unversoehnliches Herz
wir einen Spaziergang zum Park machen könnten«, sagte Andreas.
Er küsste sie noch einmal auf die Wange, scherte sich nicht um all jene, die es geschmacklos fanden, öffentlich Gefühle zu zeigen. Diese ewigen Meckereien in den Zeitungen und auf den Leserbriefseiten, als gäbe es nicht wichtigere Dinge, über die man sich Gedanken machen könnte. Nicht, dass es hier irgendwen zu stören schien. Andererseits, überlegte er, galten in einem Bahnhof unter Umständen andere Regeln, immerhin wurden hier laufend Menschen verabschiedet oder willkommen geheißen.
»Und was ist mit dem Koffer?«, sagte Madeleine und sah ihn erstaunt an.
»Den kann ich tragen.«
»Aber wäre es nicht besser, erst zur Wohnung zu gehen, uns kurz bekannt zu machen, den Koffer abzustellen und danach einen Spaziergang zu unternehmen?«
»Ich habe mir ein Hotelzimmer genommen.«
Madeleine hielt mitten im Schritt inne.
»Ein Hotelzimmer?«
»Ja, so sind wir ein bisschen für uns.«
Sie wirkte verblüfft und auch ein wenig verletzt, wie ihm nicht entging.
Sie wandte sich von ihm ab, sagte jedoch nichts.
»Komm, lass uns gehen, Madeleine. Wenn es so viel geschneit hat wie heute Nacht, ist es unglaublich schön im Park.«
Er nahm ihre Hand, und sie gingen los. Aber sie kamen nur ein paar Häuserblocks weit, dann blieb sie wieder stehen.
»Aber Andreas, ich verstehe das nicht. Wolltest du lieber in einem Hotel übernachten, weil ich kommen würde?«
»Aber nein, wie kommst du denn darauf? Ganz und gar nicht.«
»Ich kann ja verstehen, wenn es eng ist. Aber ich hätte nicht gedacht …«
»Nein, Platz gibt es genug. Ich bin gestern ins Hotel gezogen. Es ist so anstrengend gewesen, sich die ganze Zeit in der Wohnung aufzuhalten. Du weißt ja, dass es um mein Verhältnis zu meiner Mutter nicht zum Besten steht.«
»Dann war ich also nicht der Grund?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ich habe einfach das Gefühl, du willst nicht, dass ich dort übernachte, bei deiner Familie, meine ich.«
»Das hast du jetzt wirklich falsch verstanden«, sagte er und breitete die Arme aus. »Ich habe so sehr gewollt, dass du kommst. Deshalb bist du doch hier.«
»Ich bin mir da aber nicht mehr so sicher.«
Er legte zärtlich die Hand um ihr Kinn und lächelte breit.
»Madeleine, versteh doch. Warum machst du es uns nur so schwer?«
»Ich mache es uns überhaupt nicht schwer. Ich finde eher, du komplizierst die Dinge. Als wir telefoniert haben, war keine Rede von einem Hotel. Du hast gesagt, dass du bei deinen Eltern wohnst. Daraufhin bin ich davon ausgegangen, dass dies auch für uns beide gelten würde. Es ist nicht so wichtig. Ich bin nur überrascht.«
»Wenn du unbedingt willst, können wir umdisponieren. Ich kann mit Mutter sprechen.«
»Das werden wir nicht tun. Du hast doch schon entschieden, dass wir im Hotel übernachten. Dann tun wir das jetzt auch.«
Für den Bruchteil einer Sekunde wollte er ihr erzählen, wie sie hinter seinem Rücken getuschelt hatten. Von der Scheinheiligkeit seiner Familie. Dann hätte sie ihn verstanden. Aber er konnte es nicht. Sie war gekommen, um seinen Vater zu sehen. Das alberne Missverständnis wegen des Spaziergangs spielte keine Rolle, die Tuscheleien seiner Familie spielten keine Rolle.
Schon bald spürte er, dass der Koffer wesentlich schwerer war, als er für möglich gehalten hätte. Wie zum Teufel, dachte er, hat sie es nur geschafft, ihn für eine einzige Übernachtung so schwer zu packen?
Jedenfalls erreichten sie schließlich den Park, aber mittlerweile fand er nicht mehr, dass man dort viel tun konnte. Es war zu kalt, um auf einer Bank zu sitzen und sich zu unterhalten. Außerdem schienen alle Cafés überfüllt zu sein. So viel Umstände für so eine Kleinigkeit, nur um ein bisschen Zeit miteinander verbringen zu können.
Sie waren schweigend gegangen und blieben nun zögernd stehen.
»Vielleicht sollten wir doch lieber ins Hotel gehen«, meinte er am Ende, »und den Koffer abstellen, dann können wir anschließend zu Vater, bevor es zu spät wird.«
»Ja, wenn du das für das Beste hältst.«
Er spürte einen kalten Windstoß und nickte. Er wollte ihr erklären, dass es mittlerweile viel kälter war als noch vor einer Stunde, außerdem wurde es bereits dunkel. Es war eine wirklich dämliche Idee gewesen, diesen idiotischen Spaziergang zu machen. Das war so typisch für ihn.
Natürlich war sie enttäuscht von ihm. Und nun konnte er sich die Worte nicht länger vom Leib halten, sie
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