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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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spürst du jetzt deutlicher, dass sich neue Kopfschmerzen ankündigen. Aus irgendeinem Grund steht dir ein Bild vor Augen: ein großer Raubvogel, dessen jäher Sturzflug die Enten aufschreckt, die im Uferwasser schaukeln; Tumult, Schreie und Flügel, die wild im Wind flattern.
    Du überlegst kurz, ob du aufstehen und das Notizbuch holen sollst. Du hast keine deutliche Assoziation, was dich besonders neugierig macht. Es gab eine Zeit, in der du keine Sekunde gezögert hättest, aufzustehen und dir etwas so Unbewusstes und Interessantes zu notieren. Die kleinen Hefte mit den hastig niedergekritzelten Gedanken, die ein wahres Füllhorn gewesen sind, aus dem du schöpfen konntest.
    Aber du beschließt, es diesmal gut sein zu lassen.
    Du hast bei Gunhild mehr als die halbe Zeitung gelesen, aber du behältst sie dabei stets im Auge. Mittlerweile überfliegst du die Artikel nur noch und wählst bloß ein paar aus, die für sie wirklich von Interesse sein könnten. Wie üblich wendet ihr euch abschließend den Todesanzeigen zu. Du würdest dies am liebsten unterlassen, aber ausgerechnet dieser Zeitungsteil scheint ihr am meisten zu bedeuten.
    Du liest die Namen, und sie meldet sich, wenn sie möchte, dass du ihr alles vorliest, Gedichtzeilen, Namen und Informationen darüber, wo die Beerdigung sein wird. Wenn der Verstorbene relativ jung ist, schüttelt sie den Kopf, »wie traurig, noch so jung«, und wenn nur wenige Namen als Trauernde genannt werden, beklagt sie, dass die Familie so klein ist oder der Verstorbene womöglich keine Kinder hat, ja vielleicht sogar ohne Ehepartner dasteht, »all diese einsamen Menschen«.
    Du weißt, wie viel ihr das bedeutet. Aber du bist dir nicht sicher, ob es durch ihre eigene schwere Krankheit für sie so wichtig geworden ist. Ein anderer Grund könnte sein, dass sie selbst einmal Witwe geworden ist. Als es passierte, stürzte sie in ein Meer aus Verzweiflung. Sie weiß, was sich hinter den tapferen Worten in den Anzeigen verbirgt.
    Du wirfst einen Blick auf die Uhr. Es ist fast zehn, und ihr müsst euch fertig machen für Doktor Lenmalm. Also schlägst du die Zeitung zu und stehst auf.
    »Brauchst du noch etwas?«
    »Nein, schon gut, schon gut. Ich glaube, ich bin heute etwas besser bei Kräften.«
    »Es ist wunderbar, Liebling, dass du dich besser fühlst. Wenn es so bleibt, können wir vielleicht dafür sorgen, dass du heute Abend, zumindest für kurze Zeit, in den Salon kommst.«
    »Ja, das wäre schön. Dort bin ich schon lange nicht mehr gewesen.«
    Du küsst sie noch einmal auf die Stirn. Dann willst du gehen, aber sie greift plötzlich nach deiner Hand. Sie scheint deine Hand anders wahrzunehmen als sonst und betrachtet sie. Sie tut es ganz kurz und gänzlich unerwartet, wenn auch zärtlich, dreht sie ein wenig und mustert sie auf bisher nie gekannte Art.
    »Poul«, sagt sie. »Es geht einem so viel durch den Kopf, wenn man immer im Bett liegen muss. Es gibt da etwas. Ich würde es begrüßen, wenn du dich um Andreas kümmern würdest. Er braucht dich. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass ich ihm gegenüber vielleicht zu streng gewesen bin. Das muss ein Ende haben. Ich will mein Gewissen nicht damit belasten, einen Keil zwischen euch getrieben zu haben.«
    »Wieso solltest du einen Keil zwischen uns getrieben haben? Ich verstehe nicht, was du meinst …«
    »Doch, das tust du sehr wohl, und ich weiß es zu schätzen, dass du versuchst, so lieb zu mir zu sein. Aber ich möchte, dass du, soweit es denn geht, gut zu Andreas bist. Er hat es so schwer gehabt. Du bist ihm wichtig, nicht zuletzt deine Liebe. Es wird Zeit, alle Streitpunkte und Missverständnisse ad acta zu legen. Du darfst ihn gerne einmal nach Vårstavi einladen, er ist uns herzlich willkommen. Wenn man mit solchen Dingen zu lange wartet, ist es eines Tages womöglich zu spät. Ich möchte nicht mehr im Weg stehen. Versprichst du es mir, Liebster?«
    Du bleibst längere Zeit stehen und weißt nicht recht, was du ihr genau versprechen sollst. Du würdest ihr zu gerne erzählen, dass ich tot bin, dass es zu spät ist, aber es geht einfach nicht.
    Es klopft an die Tür. Du reißt dich hastig zusammen.
    »Selbstverständlich, Liebes. Selbstverständlich werde ich das tun.«
    Dann drehst du dich um, gehst zur Tür, öffnest sie, begrüßt Doktor Lenmalm und gibst ihm mit einer Geste zu verstehen, dass seine Patientin wach ist.
    Ihr nickt euch zu, und du machst Anstalten zu gehen und erhaschst einen letzten

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