Ein unversoehnliches Herz
Männer immer beschäftigt zu sein scheinen.
Sie, die genauso waren wie er.
Aber die Männer interessierten ihn nicht, sie waren nur Silhouetten in einem erotischen Spiel.
Die meiste Zeit passierte natürlich nichts: Nach drei Stunden am Fenster hatte er unter Umständen beobachtet, dass sie in einem Sessel sitzend ein Buch gelesen hatte und anschließend aufgestanden und zum Schreibtisch gegangen war, um einen Brief zu schreiben, bis sie schließlich das Licht gelöscht hatte und sich zu Bett begeben hatte. Am meisten bedeutet hatte es ihm jedoch, als sie einmal sachte ihren Rock hochzog und sich selbst zu liebkosen begann. Nie zuvor hatte ihn etwas so erregt, war er so atemlos und hingerissen gewesen. Ihre Hand, die nach oben ging, wie sie den Kopf in den Nacken warf, die pulsierenden Bewegungen. Alles an ihm wurde zu einem gespannten Bogen. Im Grunde sah er kaum mehr als ihre Umrisse. Aber ihr Körper bewegte sich rhythmisch und wurde vom flackernden Licht der niedrig stehenden Petroleumlampe an die Wand geworfen. Das Ganze glich einer Szene, die für ihn aufgeführt wurde!
Er stand am Fenster und hatte einen Orgasmus, ohne sein Geschlecht überhaupt berührt zu haben, er kam in mehreren Wellen, ausgelöst allein vom Stoff der Hose, der über die Eichel rieb. Er spürte, wie der Samen seine Beine hinablief. Dann löschte sie die Lampe, und die ganze Wohnung wurde schwarz. Und er stand da wie ein kleiner Junge, der in die Hose gemacht hatte, schamerfüllt, aber erleichtert.
Das letzte Licht erlosch, und um die Gaslaternen herum erblickte man jenes eigentümliche Schimmern, das Auerlichter in verschiedenen Nuancen abstrahlten. Er schüttelte die Erinnerung an die rätselhafte Frau in Göteborg ab und strich mit dem Zeigefinger über die Innenseite der Fensterscheibe. Das Glas war kalt, kühlend, und ihm lief ein Schauer durch den Körper.
Er ging in die Küche, wo Madeleine ihm den Rücken zukehrte. Sie hackte stehend Zwiebeln, kochte Kartoffeln, zog eine Haarsträhne zur Seite und schniefte auf Grund der Erkältung, mit der sie sich seit Wochen herumschlug. Dann wischte sie sich die Nase mit dem Ärmel ab. Sie schien sich seiner Anwesenheit nicht bewusst zu sein. Er schlich sich zu ihr, legte die Arme um sie, vergrub sein Gesicht in ihren Haaren und küsste sie in den Nacken.
Dann führte er seine Lippen zu ihrem Ohr. Es kitzelte sie offensichtlich, trotzdem lehnte sie den Kopf gegen seine Wange. Er flüsterte:
»Ich werde dich nicht verlassen. Ich werde dich niemals verlassen.«
Sie drehte sich um und küsste ihn.
»Ich weiß«, sagte sie und ihre Hand streichelte zärtlich seine Wange.
»Ich liebe dich, Madeleine. Mehr als alles andere liebe ich dich.«
IV Der verlorene Sohn
(1921–1925)
Wir bitten hiermit den Empfang Ihres geehrten Schreibens vom 25. dieses Monats mit beiliegenden 1 200 Kronen bestätigen zu dürfen, besagter Geldbetrag vorgesehen zur Begleichung der Schiffspassage von Oslo nach Fremantle. Wir haben gemäß der heutigen Absprache die fragliche Fahrkarte per Eilbrief an Kapitän Camp auf der »Hellenic« übersandt, der sie seinerseits Ihrem Sohn aushändigen wird.
Telegramm der Schiffsreederei Transatlantic
an Andreas Bjerre, 26. Juni 1925
Lieber Bruder …
Du hörst, dass auf dem Hof ein Wagen angelassen wird, und begreifst, dass Amelie im Begriff steht, Vårstavi zu verlassen. Es ist ein schönes Gefühl, das Haus endlich wieder für sich zu haben. Vårstavi ist ein regelrechter Taubenstall gewesen, gestern Madeleine und heute Amelie. Jetzt reicht es, beschließt du, keine weiteren Besuche. Nun wirst du dich Gunhild widmen und sonst keinem. Außerdem hast du Hunger bekommen, und es drängt dich, mit Signhild eine Mahlzeit abzusprechen, nichts Besonderes, nur etwas Leichtes.
Dein Leben wäre so viel einfacher, wenn es nur Gunhild und dich gäbe. Aber es ist, wie es ist. Wohin du dich auch wendest, überall Verpflichtungen. Menschen in Not, Menschen mit Ansichten, wie Amelie. Du bist schon immer der Meinung gewesen, dass sie die Menschen manipuliert und alle nach ihrer Pfeife tanzen lässt. Und wenn Gunhild angeschlagen ist, fehlt ihr die nötige Kraft, um sich Amelie zu widersetzen. Du rufst dir ins Gedächtnis, dass du Gunhild wirklich besser schützen, sie aus allem, was ringsum vorgeht, heraushalten musst, aus allem, was sie in ihrer momentanen Verfassung ohnehin nicht beeinflussen kann. Amelie und die anderen verstehen das nicht. So ist es immer gewesen, denkst du.
Um
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