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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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diese Jahreszeit fällt es schwer, anhand der Lichtverhältnisse im Freien die Uhrzeit abzulesen. Meistens ist es ja dunkel. Du legst Hammer und Meißel weg, musterst nochmals deine Skulptur. Sie ist fertig. Nie zuvor bist du auf ein Kunstwerk so stolz gewesen.
    Die Skulptur vor dir beschreibt alles: das Leben, die Liebe, den ewigen Kreislauf!
    Du würdest jetzt so gerne ins Haus gehen und Gunhild bitten, dich hinauszubegleiten und sie sich anzuschauen. Du wünschst dir, ihren Blick sehen zu können, wenn sie dein Werk zum ersten Mal betrachtet. Du könntest die Skulptur natürlich auch in den Salon tragen und dort mit einem Tuch verhüllen. Und dann später könntest du den Vorhang wegziehen, sobald sie in einem der Sessel sitzt. Deine Laune bessert sich zusehends, und du siehst ihre Überraschung und Freude über die Skulptur regelrecht vor dir. Ja, denkst du, Gunhild muss sie sehen, noch heute Abend!
    Das Kunstwerk ist ihr gewidmet, und hinterher würde sie dich zärtlich küssen, dich umarmen und dir sagen, wie sehr sie dich bewundert. Wäre es nicht möglich, sie ins Haus zu tragen? Je länger du darüber nachdenkst, desto aufgeregter wirst du. Du ziehst ein paar Stühle und Tische zur Seite, die im Atelier im Weg stehen, misst die Tür aus, um zu sehen, ob die Skulptur hindurchpasst.
    Dann aber setzt du dich wieder hin.
    Nein, es geht nicht. Im Moment ist außer Signhild niemand im Haus, und ihr beide habt nicht die Kraft, sie zu tragen. Außerdem ist Gunhild wahrscheinlich ohnehin zu müde, nachdem sie sich den ganzen Tag in Amelies Gesellschaft befunden hat. Sie schläft bestimmt schon und wird an diesem Abend nicht mehr aufwachen. Plötzlich bist du erschöpft.
    Du stehst auf, hängst den Kittel an einen Nagel und gehst zur Tür. Bevor du hinausgehst, bürstest du die Schuhe ab. Als du die Tür hinter dir zuziehst, wirfst du einen letzten Blick auf die Skulptur. Sie ist dein Meisterwerk, das wird niemand leugnen können. Sie symbolisiert die gesamte Menschheit, den ewigen Kreislauf, die Liebe zur Erde und zur Frau, die rätselhafte Kraft der unerschöpflichen Liebe. Deiner Liebe zu Gunhild. Du siehst die brennenden Lampen im Haus, und obwohl es nur wenige kurze Schritte sind, erfasst dich der Wind. Es ist nasskalt und das Wetter peinigend, wie um dem Menschen seine Nichtigkeit im Dasein zu zeigen.
    Du öffnest die Tür zu Vårstavi und gehst unverzüglich zum Arbeitszimmer. Dir ist etwas eingefallen, jetzt willst du es nachschlagen. Wer hatte noch das Wetter und die Nichtigkeit des Menschen vor dem Wettergott beschrieben? Geijer oder Tegnér?
    Du gehst schneller. Als du den Salon durchquerst, siehst du auf dem Flügel einen Brief liegen. Im ersten Moment bist du überrascht, bis du erkennst, dass Amelie einen Gruß an dich hinterlassen haben muss. Du gehst hin und nimmst dir das Schreiben.
    Liebster Poul!
    Danke für Deine Nachricht – Deine Zeilen über Mutters verbesserte Gesundheit waren sehr tröstlich; wie Du weißt, mache ich mir ständig Sorgen um sie, was durch den geographischen Abstand zwischen uns noch verstärkt wird. In der Tschechoslowakei zu sitzen und vor Sorge ganz krank zu sein, ist unerträglich, lässt sich aber leider nicht ändern. Gleichzeitig möchte ich mich tausendfach für all Deine Hilfe bei Sören Christer bedanken. Wir machen uns alle Sorgen um ihn. Aber er ist jetzt erwachsen und kann nicht mehr beschützt werden wie ein Kind, so sehr wir uns dies auch wünschen würden.
    Da ich mich jetzt auf den Weg machen werde, kann ich nur einige kurze Zeilen an Dich richten. Es erschien mir nicht angebracht, Deinem Ansinnen, Mutter nichts von Andreas zu erzählen, nachzukommen. Manchmal könnte man fast den Eindruck gewinnen, als würdest Du, lieber Poul, völlig vergessen, dass Andreas und ich viele Jahre verheiratet waren. Er war in vieler Hinsicht die Liebe meines Lebens, was selbstverständlich vor allem damit zusammenhängt, wann im Leben man sich kennenlernt – Andreas und ich sind uns in unser beider Blütezeit begegnet. Aber ich werde ihn immer als liebevollen und unglaublich kreativen Menschen in Erinnerung behalten.
    Dein Ersuchen – Mutter in diesem wichtigen Gespräch nichts von Andreas und seinem Tod zu erzählen – ist somit vergebens gewesen. Sollte ich Dich damit verletzt haben, so tut es mir leid. Obwohl ich ehrlich gesagt nicht begreife, wie Du in diesem Punkt argumentierst – es erscheint mir völlig gedankenlos (verzeih meine unverhohlene Ausdrucksweise – der

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