Ein unversoehnliches Herz
fast bewusstlos.«
»Bewusstlos? Daran erinnere ich mich nicht. Habe ich dir etwas getan? War ich gemein zu dir?«
»Nein, nichts dergleichen. Du warst so gut wie bewusstlos, als ich nach Hause kam. Aber etwas hast du tatsächlich getan.«
Er erstarrte.
In seinem Körper schien sich ein eisiger Hauch auszubreiten.
Bin ich etwa zu einem wilden Tier geworden?, dachte er. Habe ich mich an dem einzigen Menschen vergriffen, den ich liebe, der einzigen Frau, die mich mit Wärme und Liebe erfüllt?
Madeleine stand auf, entfernte sich vom Bett und verschwand aus seinem Blickfeld.
Er versuchte sich aufzurichten, um sehen zu können, wohin sie ging. Es gelang ihm, sich halb aufzusetzen, als sie zum Bett zurückkehrte.
»Das hier«, sagte sie und hielt einen Blätterstapel hoch.
Er schloss die Augen und der unverwechselbare Geruch von verbranntem Papier stieg ihm in die Nase. Dann schlug er die Augen auf und sah mehrere beschädigte, sogar völlig verkohlte Seiten.
»Ist das mein Manuskript?«
Sie nickte bedächtig.
»Aber ich konnte fast alles retten«, erklärte sie und lächelte. »Nur die Seiten, die direkt auf dem Feuer lagen, sind völlig zerstört worden. Die anderen haben wahrscheinlich mehr abbekommen, als ich Wasser auf sie gekippt habe. Aber ich habe sie alle gesäubert und glattgestrichen.«
Sie sah ihn warmherzig an und lachte.
»Ich habe sie mit einem Leinentuch dazwischen gebügelt!«
»Die Mühe hättest du dir sparen können.«
»Hast du eine Kopie?«, sagte sie, strahlend vor Freude. »Ich wusste es! Aber ich konnte mir nun mal nicht sicher sein.«
»Nein«, erwiderte er finster. »Ich habe keine Kopien, aber das ist auch nicht nötig. Das Manuskript ist unter aller Kritik, es ist nichts wert.«
»Hör auf … Hör auf!«, sagte sie mit schneidender Stimme.
Das hatte sie wahrlich nicht zum ersten Mal gehört, trotzdem schüttelte sie den Kopf. Sie ertrug es nicht, seine Einwände zu hören. Und er wusste, dass sie Recht hatte. Dieser Blätterstapel hatte einen zu langen Prozess durchlaufen, um durch Verbrennen vernichtet werden zu können. Das Manuskript würde trotzdem nicht verschwinden, aus seinem Kopf, seiner Seele, seinem ganzen Wesen nicht. Es war zu einem Teil seiner selbst geworden. Um es abhaken zu können, hätte er sein eigenes Wesen vernichten müssen.
»Welche Seiten sind verbrannt?«, fragte er schließlich.
Er merkte, wie angestrengt sein Lächeln ausfiel.
Sie überreichte ihm den Stapel, und er sah es sofort, als er ihn in die Hand nahm. Außer den ersten fünfzehn waren alle Seiten intakt. Das neue Vorwort war fort. Alles andere war noch da.
Sie hob das Glas an seinen Mund. Mittlerweile ging es ihm wieder besser, schon zwei Stunden nach dem Aufstehen war er fähig, sich wieder zu sammeln. Er begriff, dass sie ihm böse war und er wieder einmal ihr Vertrauen enttäuscht hatte.
Immer wieder wiederholte sie die gleichen Fragen: Wo bist du gewesen, warst du in einem Restaurant, und wenn ja, in welchem, warst du bei jemandem zu Hause, bei wem, was ist passiert, warum hast du das Manuskript ins Feuer geworfen?
Er konnte sie nicht auseinanderhalten geschweige denn beantworten. Er hatte keine Ahnung.
Sie sagte, wenn er das Manuskript etwas weiter ins Feuer geworfen hätte, wäre jede Seite vernichtet worden.
Madeleine legte sich neben ihm ins Bett.
Sie strich mit einem Finger über seinen nackten Arm, sie tat es zerstreut, weder zärtlich noch verspielt. Er hörte ihre tiefen Atemzüge, die manchmal innehielten, und er wartete darauf, dass sie etwas sagen würde.
Denn sie wollte doch etwas sagen, oder?
Aber es kam nichts, und kurz darauf atmete sie wieder so schwer wie zuvor.
Er fragte sich, ob sie von ihm erwartete, dass er etwas sagte. Aber er hatte ihr nichts zu sagen. In seinem Inneren herrschte gähnende Leere. Wenn überhaupt, hätte er sie gerne gebeten, nicht mehr mit dem Finger über seinen Arm zu streichen.
Nach den vagen Erinnerungsbildern, in denen er Långholmen verließ, erinnerte er sich weiterhin an nichts.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Madeleines Bewegung aufgehört hatte. Er spürte, dass ihr Finger nun auf einem Punkt ruhte und ihr Atem stockte. Ihr Mund lag ganz dicht an seinem Ohr. Er spürte ihren warmen Atem auf seiner Wange.
Dann flüsterte sie:
»Warum willst du nicht leben, Andreas?«
Seine Gedanken verschwanden, als würden sie in einem viel zu engen Raum zusammengepresst, in einem schmäler werdenden Tunnel. Er wollte erklären,
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