Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
Vom Netzwerk:
Die Beschwerden hatte er seit vielen Jahren, fast so lange, wie er denken konnte, aber diese spezielle Art des Aufstoßens stellte sich immer nur dann ein, wenn er getrunken hatte.
    Habe ich getrunken?, überlegte er.
    Er konnte sich nicht erinnern, versuchte zurückzugehen und sich zu vergegenwärtigen, was er getan hatte und wie er im Bett gelandet war. Er begriff sofort, dass etwas nicht stimmte.
    Es war etwas passiert.
    Nur dass er nicht wusste, was passiert war.
    Als er Schritte näher kommen hörte, wurde das Bild im gleichen Moment jedoch klarer. Ihm fiel wieder ein, dass er gearbeitet hatte. Er hatte in der Wohnung gesessen, gearbeitet und sich eigentümlich stark gefühlt.
    Obwohl sein Vater gestorben war, hatte er sich stark gefühlt.Denn er wusste, dass die Liebe seines Vaters im Raum war. Ja, so hatte er es empfunden, sein Vater war in irgendeiner Form gegenwärtig gewesen, während er schrieb. Sein Vater, der ihn aufforderte zu kämpfen und zu schreiben, der sagte, er wisse, dass Andreas’ Arbeit bald beendet sein würde.
    Es war ein so intensives Wohlbefinden gewesen. Die Stimme seines Vaters. Nie zuvor hatte sich Andreas so gefühlt.
    Und die Worte kamen zu ihm wie Geschenke.
    Er schrieb an dem Vorwort, diesem verdammten Vorwort, das ihn jahrelang verfolgt hatte. Bis zu diesem Tag hatte er bestimmt hundert Versionen verfasst und jede einzelne von ihnen wieder verworfen.
    Aber gestern – war es gestern gewesen? – hatte es sich praktisch wie von selbst geschrieben!
    Er hatte so fantastische Einsichten gewonnen, was das eigentliche Ziel all dieser Jahre voller Studien und Interviews gewesen war. Es würde endlich fertig werden, ja, mein Gott, hatte er gedacht, jetzt wird es also endlich geschrieben!
    Dann war irgendetwas passiert.
    Er versuchte klarer zu denken und seinem Bewusstsein Bilder hinzuzufügen. Er ging nach Långholmen, spazierte dorthin. Es war ein herrlicher Januartag, windstill, er machte einen Umweg, die Schiffe am Kai … ja, jetzt erinnerte er sich … und Viktor Almquist, der ihn empfing.
    Danach wurde jedoch alles unzusammenhängender.
    Die Bilder verblassten, verschwanden, entzogen sich.
    Es dauerte eine Weile, dann sah er Bernt Gunnarssons Gesicht vor sich. Er baumelte in seiner Zelle hin und her, der Kopf hing in einem unnatürlichen Winkel, die Füße zeigten zu Boden, die Schlinge spannte sich um den Hals. Das Jungengesicht entstellt, die letzten Worte erstickt, die Zunge hing heraus. Das Bild wurde grausig detailliert, und Andreas konnte näher treten und exakt begutachten, wo sich die Schlinge zugezogen hatte, sah die Schürfmale und die Hand, die schlaff an der Hüfte herabhing, die gekrümmten Finger, als versuchten sie, nach etwas zu greifen. Und dann sah er die Hand, die ihm so vertraut war. Aber nicht von Gunnarssons leblosem Körper. Diese Hand … jetzt sah er, studierte er sie, setzte sich und studierte sie … die Hand, die seine eigene war … aber er hatte das Gefühl, sie nie zuvor gesehen zu haben … sie ist wie die Hand eines anderen Menschen.
    Die Hand eines anderen Menschen, die Gunnarssons Briefe hielt, bevor sie langsam zu Boden taumelten. Jeder Brief mit der gleichen Einleitung, Für Mutter.
    Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Madeleine das Schlafzimmer betrat. Glas und Karaffe, die sie auf einem Zinntablett trug, klirrten.
    »Du bist wach?«
    Er versuchte zu antworten, aber sein Hals war zugeschwollen, als wären die Wände seiner Kehle voller Teer. Er brachte einen gurgelnden Laut heraus und wedelte abwehrend mit den Armen.
    »Was ist eigentlich passiert?«
    Sie seufzte, als er krächzend seine Frage gestellt hatte, setzte das Tablett ab, ließ sich auf einen Stuhl fallen und griff nach seiner Hand.
    »Du hattest einen Zusammenbruch, Andreas. Alles halb so wild. Der Doktor war hier, hat dir aber nur ein Schlafmittel gegeben. Seither hast du geschlafen.«
    Andreas kniff die Augen zu, als könnte er sich so besser erinnern. Aber es tauchte nichts auf, es gab nur eine kompakte Dunkelheit.
    »Ich erinnere mich an nichts«, sagte er mit schleppender Stimme und schüttelte den Kopf, als könnte er es selbst nicht glauben. »Ich bin auf Långholmen gewesen und habe mich mit Viktor Almquist getroffen. Stimmt das? Oder bringe ich jetzt alles durcheinander?«
    »Auf dem Heimweg von Långholmen muss etwas passiert sein. Denn du warst dort, das stimmt. Aber ich weiß nicht, was danach passiert ist. Als ich nach Hause kam, lagst du auf dem Fußboden. Du warst

Weitere Kostenlose Bücher