Ein Vampir für alle Fälle
geschnitten. Er trug ein offenes Flanellhemd über einem weißen T-Shirt. Jeans. Keine Schuhe. Und hatte ein Grübchen im Kinn.
Hunter trug Cordhosen und ein Sweatshirt mit einem großen Fußball vorne drauf. Seine Sachen waren brandneu, wie die seines Vaters.
Remy betrachtete mich immer noch aufmerksam. Er fand, dass ich gar keine Ähnlichkeit mit Hadley hatte, nicht so schlank war wie sie und vom ganzen Typ her viel heller, nicht so hart. Sieht aus, als hätte sie nicht viel Geld, dachte er, aber sie ist hübsch. Da stimmte er seinem Sohn zu. Doch er traute mir nicht.
»Wie lange haben Sie schon nichts mehr von ihr gehört?«, fragte ich.
»Von Hadley habe ich zuletzt ein paar Monate nach seiner Geburt gehört«, sagte Remy. Er hatte sich damit abgefunden, aber es lag auch Traurigkeit in seinen Gedanken.
Hunter saß auf dem Boden und spielte mit Lastwagen. Er belud einen Kipplaster mit Duplo-Steinen und schob ihn dann rückwärts auf einen Feuerwehrwagen zu. Zum großen Erstaunen des Duplo-Männchens in der Fahrerkabine des Feuerwehrwagens entlud der Kipplaster seine ganze Ladung auf ihn. Hunter lachte fröhlich und rief: »Daddy, guck mal!«
»Ich seh's, mein Junge.« Remy sah mich unverwandt an. »Warum sind Sie hier?« Er wollte gleich zum Kern der Sache kommen.
»Ich weiß erst seit zwei Wochen, dass Hadley ein Kind bekommen hat«, sagte ich. »Vorher hatte ich keinen Grund, Sie aufzusuchen.«
»Ich habe ihre Familie nie kennengelernt«, erwiderte er. »Woher wissen Sie, dass Sie verheiratet war? Hat sie es Ihnen erzählt?« Und dann fügte er widerstrebend hinzu: »Alles okay mit ihr?«
»Nein«, flüsterte ich, damit Hunter es nicht hörte. Der Junge lud gerade alle Duplos wieder in den Kipplaster. »Sie ist schon vor Katrina gestorben.«
Ich bekam mit, dass die Nachricht wie eine Bombe in seine Gedanken einschlug. »Sie war doch schon eine Vampirin, habe ich gehört«, sagte er unsicher; seine Stimme zitterte. »Diese Art von Tod?«
»Nein. Ich meine, richtig, endgültig.«
»Was ist passiert?«
»Sie wurde von einem anderen Vampir angegriffen«, erzählte ich. »Er war eifersüchtig auf Hadleys Beziehung zu ihrer... äh, ihrer...«
»Geliebten?« Die Bitterkeit ihres Exehemanns war nicht zu überhören, weder in seiner Stimme noch in seinen Gedanken.
»Ja.«
»Ziemlich schockierend damals«, sagte er, doch in seinen Gedanken war der Schock längst dumpfer Resignation gewichen.
»Ich habe von all dem erst nach ihrem Tod erfahren.«
»Sie sind ihre Cousine? Ich weiß noch, dass sie sagte, sie hätte zwei... Sie haben noch einen Bruder, richtig?«
»Ja«, sagte ich.
»Und Sie wussten, dass sie mit mir verheiratet war?«
»Das habe ich erst herausgefunden, als ich vor einigen Wochen ihren Banksafe leerte. Ich hatte auch keine Ahnung, dass es einen Sohn gibt. Tut mir wirklich leid.« Ich wusste selbst nicht genau, warum ich mich entschuldigte oder woher ich es hätte wissen sollen. Aber es tat mir leid, dass ich nicht mal in Erwägung gezogen hatte, dass Hadley und ihr Mann ein Kind bekommen hatten. Hadley war etwas älter gewesen als ich und Remy vermutlich so Anfang dreißig.
»Sie machen einen ganz vernünftigen Eindruck«, sagte er plötzlich, und ich wurde rot, weil ich ihn sofort verstand.
»Hadley hat Ihnen erzählt, dass ich eine Behinderung habe.« Ich wandte den Blick ab und sah den Jungen an, der aufsprang, heraustrompetete, dass er jetzt auf die Toilette müsse, und aus dem Zimmer rannte. Ich musste lächeln.
»Ja, sie sagte so was ... Sie sagte, Sie hätten es in der Schule deshalb sehr schwer gehabt«, erwiderte er taktvoll. Hadley hatte ihm erzählt, ich wäre völlig verrückt. Doch er entdeckte kein Anzeichen dafür, und fragte sich, warum Hadley ihm so etwas erzählt hatte. Er sah in die Richtung, in die der Junge verschwunden war, und in seinen Gedanken las ich, dass er trotzdem vorsichtig sein und, schon weil Hunter da war, auf jedes Anzeichen von Verrücktheit bei mir achten wollte - auch wenn Hadley sie ihm nie im Detail beschrieben hatte.
»Stimmt«, sagte ich. »In der Schule hatte ich es deshalb schwer. Hadley war mir keine große Hilfe. Aber ihre Mutter, meine Tante Linda, war eine großartige Frau, ehe sie an Krebs starb. Sie war immer sehr lieb zu mir. Wir haben einige schöne Dinge zusammen erlebt.«
»Das war bei mir genauso. Manchmal hatten wir richtig Spaß«, erwiderte Remy. Er hatte die Unterarme auf die Knie gelegt, und die großen, von Schrammen und
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