Ein Vampir für gewisse Stunden: Argeneau Vampir 6
unerwartete Traurigkeit entdeckte. „Und in diesem Fall geht es doch nicht nur um dich”, warf plötzlich Etienne ein. Lucian und Rachel sahen in seine Richtung, während er zu ihnen kam und Lucian eine Hand auf die Schulter legte. Mit ernster Miene sagte er dann: „Denk an Leigh, Onkel.” Als der nichts erwiderte, sprach Etienne weiter: „Leigh kann sich nicht vorstellen, was es heißt, eine wirklich lange Zeit allein zu sein. Wir können das. Du noch besser als ich.”
Er schaute betrübt drein. „Ich war nur dreihundert Jahre allein, aber bei dir ist es die zehnfache Zeit. Ich habe nie verstanden, wie du auch ohne Gefährtin so lange deine Menschlichkeit bewahren konntest. Dennoch ist es dir gelungen. Ob Leigh so stark ist, weiß ich nicht. Du kannst sie nicht lesen, wir dagegen schon. Sie fühlt sich bereits jetzt einsam.”
„Aber das muss nicht so bleiben”, ergänzte Rachel.
„Okay, okay, ihr könnt aufhören”, entgegnete Lucian. „Ihr hattet mich bereits überzeugt, ihr müsst mir jetzt nicht auch noch Schuldgefühle einreden, dass Leigh meinetwegen ohne Lebensgefährten enden könnte.”
Die beiden strahlten ihn an, woraufhin Lucian die Augen verdrehte und sofort stutzig wurde, als Rachels Lächeln einer besorgten Miene wich. „Was ist jetzt?”, fragte er misstrauisch.
„Ich.... ich fürchte nur, dass Leigh sich als etwas widerspenstig erweisen könnte.”
„Was?” Er war so mit seinem eigenen Widerwillen beschäftigt gewesen, Leigh als seine Lebensgefährtin anzuerkennen, dass er gar nicht daran gedacht hatte, ob sie sich überhaupt für diesen Gedanken erwärmen konnte.
„Wieso?”
„Als ihr Großvater starb, war Leigh plötzlich ganz auf sich allein gestellt. Sie hat einen Mann geheiratet, der sich als Schläger entpuppte. Leigh gibt sich dafür die Schuld. Aus ihrer Sicht war sie schwach, weil sie jemanden brauchte, deshalb will sie seitdem beweisen, dass sie stark und auf schwach, weil sie jemanden brauchte, deshalb will sie seitdem beweisen, dass sie stark und auf niemanden angewiesen ist. Sie fürchtet sich davor, ihren Fehler zu wiederholen.”
Rachel hatte sich offensichtlich sehr gründlich in Leighs Kopf umgesehen.... und dafür war er ihr sogar dankbar, weil er das nicht selbst machen konnte. „Und was schlägst du vor, wie ich sie vom Gegenteil überzeugen soll ?”
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ich glaube, du musst ihr beweisen, dass sie dir vertrauen kann, dass du ihr nicht wehtun wirst und dass sie mit dir keinen Fehler macht.”
„Und wie stelle ich das an?”
Etienne sah seine Frau fragend an, aber sie schwieg so lange, bis Lucian fast überzeugt war, dass sie selbst keine Ahnung hatte. Doch dann antwortete sie: „Das Beste wird wohl sein, wenn du dich an sie heranschleichst.”
Etienne wollte seinen Ohren nicht trauen. „Eben sagst du noch, Onkel Lucian soll beweisen, dass sie ihm vertrauen kann. Und jetzt soll er sich an sie heranschleichen? Was für eine Logik ist denn das?”
„Weibliche Logik”, kommentierte Lucian ironisch und erntete dafür von Rachel einen wütenden Blick.
„Ich meine nicht.... ”, begann sie, brach aber wieder ab.
„Ich.... ”
„Ich glaube, das Einfachste wäre”, mischte sich Etienne ein, „wenn wir ihr die Sache mit der Lebensgefährtin einfach schildern und ihr sagen, dass Onkel Lucian sie nicht lesen kann und er deshalb ihr Lebensgefährte ist.”
„Das halte ich für einen Fehler”, wandte Rachel entschieden ein. „Ich glaube, bei Leigh würde es genau das Gegenteil bewirken. Sie wird sich zurückziehen und hinter ihrem Schutzwall in Deckung gehen.”
„Und was schlägst du stattdessen vor?”, wollte Lucian wissen.
Rachel schürzte die Lippen und dachte kurz nach. „Ich glaube, du musst dich ihr auf eine Weise nähern, die sie nicht als Bedrohung empfinden wird. Als Freund zum Beispiel. Oder als Lehrer.”
„Hmm”, machte Etienne. „Das mit dem Lehrer ist eine gute Idee. Schließlich muss sie lernen, wie sie ihre Zähne kontrolliert und all die anderen Dinge. Das wäre ein guter Ansatz.”
„Okay.” Lucian nickte zustimmend. Er war in der Lage, sie in ihren neuen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu unterweisen, er konnte ihr beibringen, wie sich der Hunger auf Essen und der Hunger auf Blut unterscheiden ließen. Sie musste auch lernen, wie sie Gedanken las und den Verstand eines anderen kontrollierte. Und genauso war es nötig, dass sie wusste, wie sie von einem lebendigen Menschen trank.
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