Ein verführerischer Akt
höher klang.
»Nehmt die Mützen ab«, befahl Julian.
Wieder schienen die drei sich allein durch Blicke zu verständigen, denn derjenige, der gesprochen hatte, trat mit gestrafften Schultern vor und nahm die Mütze ab. Schimmerndes dunkelbraunes Haar kam zum Vorschein, und eine üppige Strähne löste sich langsam, fiel auf die Schulter. Julian stockte der Atem.
Vor ihm stand Rebecca Leland. Die Frau, die keine Skrupel gehabt hatte, sich für ein Gemälde auszuziehen und das Risiko einzugehen, ihren Ruf für immer zu ruinieren.
Im schwachen Schein der Lampe funkelten ihre Augen vor Stolz und Trotz. Ihr herzförmiges Gesicht glühte förmlich, und ihre Lippen waren voll und sinnlich, obwohl sie sie ärgerlich zusammenkniff. Sie gab nichts von der Anspannung preis, unter der sie stand, doch etwas in Julian wünschte, sie würde es tun. Verärgert darüber, dass er sich von einem hübschen Gesicht derart ablenken ließ, rief er sich zur Räson. Bestimmt war der übermäßige Alkoholgenuss schuld daran, entschuldigte er sich. Auch dass er den Blick nicht von ihrem zarten Hals wenden konnte, der aus dem offenen Kragen des Männerhemds herausschaute, und dem vollen Busen, den selbst die unförmige Jacke nicht zu verbergen vermochte. Er erinnerte sich nur allzu gut an die üppigen Rundungen, zwischen denen der herzförmige Diamant eingebettet lag, und zudem stand das Bild unmittelbar vor seinen Augen, direkt hinter ihr, und wirkte wie eine Einladung zur Sünde. Was dachte sie sich wohl angesichts dieser erotischen Zurschaustellung ihres Körpers? War es ihr peinlich? Kannten ihre Gefährtinnen überhaupt die Wahrheit?
Als die Anspannung im Raum weiter stieg, körperlich spürbar wie ein heraufziehendes Gewitter, folgten die anderen beiden beherzt dem Beispiel ihrer Anführerin und nahmen ihre Mützen ab.
»Meine Damen, wir sind einander noch nicht vorgestellt worden«, erklärte Julian und hatte dabei das Gefühl, nur mit Rebecca zu sprechen.
»Susanna …«, fing Peter an, um dann jedoch sofort den Mund zuzuklappen.
Die Mädchen schauten ihn einmütig mit einem Anflug von Verärgerung an – offensichtlich stand er auf recht vertrautem Fuß mit den jungen Damen, auch wenn er das bislang nicht offen zugab.
Leo kicherte. »Julian, darf ich dir die Leland-Schwestern Susanna und Rebecca sowie ihre Cousine Lady Elizabeth Cabot, die Schwester Seiner Hoheit, des Dukes of Madingley, vorstellen …«
Julian vermutete, dass es sich bei der Schwarzhaarigen um die Cousine handelte, denn bei dem Mädchen mit dem roten Haar glaubte er eine Ähnlichkeit mit Rebecca zu erkennen. Beide besaßen die gleiche zarte Nase und hohe Wangenknochen, nur dass Susannas Mund längst nicht so sinnlich wie bei der jüngeren Schwester war.
»Ich kann mir nur einen einzigen Grund vorstellen, warum drei Damen der guten Gesellschaft es wagen, in einen Herrenclub einzudringen«, meinte Julian gedehnt.
Rebeccas Wangen liefen feuerrot an, und mit einem Mal wirkte sie sehr unschuldig. Was sie aber vermutlich nicht war, dachte Julian bei sich.
»Wir haben uns gegenseitig Mut gemacht«, erklärte sie.
Er zog eine Augenbraue hoch und kam langsam näher. Er wusste, dass er nicht ganz dem Ideal des Gentlemans entsprach, denn anders als viele feingliedrige Dandys besaß er einen kräftigen, muskulösen Körper mit breiten Schultern. Fast wie ein Boxer, und entsprechend sah er einen Anflug von Angst in Susannas Augen, als er sich der Gruppe näherte.
Rebecca dagegen schaute bloß finster zu ihm auf und ließ sich offensichtlich kein bisschen von ihm einschüchtern.
»Sie haben sich gegenseitig ermutigt, dieses Gemälde zu stehlen?«, hakte er nach.
Sie warf ihren Begleiterinnen nicht einmal einen Blick zu, um sich Rückendeckung zu holen. »Natürlich nicht. Wir hätten es wohl kaum geschafft, dieses riesige Ding wegzuschleppen. Wir wollten uns nur einen Spaß erlauben und es verstecken.«
»Dann wussten Sie also von diesem Bild? Und dass es Eigentum des Clubs ist?«
»Alle haben davon gehört, wir auch. Und die Reaktion der Männerwelt darauf ist ziemlich ordinär. Deswegen wollten wir es für eine Weile zumindest aus dem Verkehr ziehen.«
Sagte ausgerechnet die Frau, die nackt für das Gemälde posiert hatte, dachte Julian mit einem Anflug von Erheiterung. »Ich glaube eher, dass Sie es aus einem anderen Grund auf dieses Objekt abgesehen haben«, erwiderte er. »Der Künstler, Roger Eastfield, behauptet, dass es sich bei dem Modell um eine junge
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