Ein verführerischer Schuft
vorzufinden, auf dem Stuhl am Ende des Tisches.
Ihre Brüder sahen sie und drehten sich zu ihr um; Tony blickte sich um und erhob sich, als sie eintrat. Sie ging an ihm vorbei, winkte ihm, sich wieder auf seinen Stuhl zu setzen, wünschte ihren Geschwistern einen guten Morgen, ehe ihr zu Adrianas sichtlicher Erheiterung einfiel, auch ihren Gast zu begrüßen.
Er erwiderte ihre Begrüßung mit Haltung, lobte den Fisch, der gereicht wurde. Sie goss sich eine Tasse Tee ein, dann ging sie zum Sideboard. Sie traf ihre Wahl unter den dort dargebotenen Speisen, war sich sehr wohl der unterschwelligen Spannung im Raum bewusst, dem Flüstern ihrer Brüder und der erwartungsvollen Stille.
Ruhig kehrte sie zu ihrem Stuhl zurück, stellte ihren Teller ab und setzte sich, dankte Maggs, der ihr den Stuhl hielt.
Dann nahm sie ihre Gabel - und schaute auf.
Vier Augenpaare waren gespannt auf sie gerichtet - und ein schwarzes Augenpaar, in dem sie nicht lesen konnte.
Sie holte tief Luft, atmete aus.
»Nun gut. Wir siedeln über in die Upper Brook Street.«
Ihre Brüder jubelten laut; Adriana lächelte erfreut.
Sie schaute wieder auf ihren Teller, stach mit der Gabel in das Fischgericht.
»Aber erst, wenn Lord Torringtons Cousine bereit ist, uns zu empfangen.«
Der Begeisterung ihrer Brüder tat das keinen Abbruch; sie begannen sich sogleich aufgeregt darüber zu unterhalten, welche Überraschungen Torrington House für sie wohl bereithielte, schmiedeten im Flüsterton erste Pläne. Sie schaute ihre Brüder an, dann zu Tony.
Hob eine Augenbraue.
Tony kannte sie inzwischen gut genug, als dass er sich seine Befriedigung hätte anmerken lassen, ganz zu schweigen davon, wie tief sie reichte. Ohne den Blick von ihrem Gesicht abzuwenden, nickte er.
»Ich werde eine Nachricht schicken, wenn Miranda sich von den Strapazen der Reise weit genug erholt hat, um dich zu empfangen.«
So, wie er Miranda kannte, vermutete er, dass das knapp zehn Minuten nach ihrer Ankunft sein würde.
17
So wie er es vorausgesagt hatte, so traf es ein. Miranda kam in der Upper Brook Street an, von dem einem Wunsch beseelt, die Frau kennenzulernen, der es endlich gelungen war, ihn an Land zu ziehen, wie sie es auszudrücken beliebte.
Miranda war eine freundliche aufgeschlossene Dame mit beträchtlichem Charme, die mit dem frühen Tod ihres Mannes einen schweren Verlust erlitten hatte und ihn ernstlich betrauerte.
»Obwohl ich bezweifle, dass es ewig anhalten wird.«
Blonde Locken umrahmten ihr herzförmiges Gesicht; sie blickte zu Tony auf, der vor dem Kamin in seinem Empfangssalon stand.
»Aber in der Zwischenzeit sitze ich wie auf Nadeln, wirklich auf Nadeln, um deine Witwe kennenzulernen. Darf ich raten? Sie ist wunderschön, nicht wahr?«
Tony blickte sie mit leisem Spott an.
»Du benimmst dich bitte, ja? Weiterhin wirst du Alicia nicht mit Geschichten aus meiner Jugend oder gar meiner Kindheit ergötzen.«
Mirandas Lächeln wurde breiter.
»Spielverderber.«
Er schnaubte und drehte sich zur Tür. Die Uhr auf dem Kaminsims schlug zwölfmal.
»Ich gehe dann jetzt und unterrichte sie von deinem sehnlichen Wunsch, ihre Bekanntschaft zu machen.«
An der Tür blieb er stehen und schaute zurück.
»Nur vergiss bitte nicht - wir haben noch nicht offiziell über unsere Hochzeit gesprochen.« Womit er sagen wollte, dass sie noch nicht eingewilligt hatte - wenigstens nicht mit Worten.
Miranda wirkte fasziniert und entzückt.
»Mach dir keine Sorgen - ich werde dir die Sache schon nicht vermasseln.«
Er machte aus seinem Unglauben keinen Hehl, als er sie verließ.
In dem Haus in der Waverton Street herrschte ein wildes Durcheinander, als Tony über die Türschwelle trat - es kam dem absoluten Chaos näher als alles, was er zuvor erlebt hatte. Er stand in der schmalen Eingangshalle und verfolgte gebannt die rege Geschäftigkeit, die dort herrschte. Kisten standen offen, die mit grünem Fries bespannte Tür zu den Dienstbotenräumen war sperrangelweit aufgerissen und das ganze Haus erfüllt mit Stimmengewirr und Geräuschen. Die Jungen liefen die Stufen auf und ab, riefen sich gegenseitig Fragen zu und schleppten Bücher und Spielzeug, Kleidung und Schuhe herbei, stopfen alles fröhlich durcheinander in die Kisten, ehe sie breit grinsend wieder nach oben liefen.
Durch die offene Speisezimmertür sah er, wie die Köchin und Fitchett sorgsam Gläser verpackten. Ein Laut lenkte seine Aufmerksamkeit zur Galerie oben an der Treppe. Maggs stieg
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