Ein verführerischer Schuft
zu übersehen. Ihm wurde ganz warm ums Herz, die Beklommenheit löste sich auf, die ihn beschlichen hatte - und von der er bis zu diesem Moment gar nichts geahnt hatte. Er nahm ihre Hand.
»Meine Liebe, dies ist Hungerford. Er ist die höchste Autorität in diesem Hause.«
Hungerford trat vor und verneigte sich tief.
»Zu Ihren Diensten, Madam. Sollten Sie etwas benötigen, irgendetwas, gleichgültig, was es ist, stehen wir zu Ihrer Verfügung.«
»Danke.«
Hungerford wich in den Hintergrund zurück.
Tony deutete zur Salontür.
»Nachher werde ich dich Mrs. Swithins vorstellen, der Haushälterin - sie kann dir die Räume zeigen, die vorbereitet wurden. Aber komm zuerst mit mir und lass dich mit Miranda bekannt machen.«
Mit neuer Zuversicht erfüllt kam Alicia bereitwillig mit. Als sie den Empfangssalon betraten, schaute sie sich ebenfalls um und war wieder überrascht von der Herzlichkeit und Wärme, die das Haus ausstrahlte. Ohne bewusst darüber nachgedacht zu haben, hatte sie eher mit einem Haus gerechnet, das mehr wie er war: kühl, zurückhaltend, elegant. Aber dem war nicht so. Die Möbel waren nicht neu, ganz im Gegenteil; jedes einzelne Stück wirkte antik und liebevoll gepflegt, war glänzend poliert; die Gobelins, die Vorhänge und die Polsterstoffe zeigten die warmen leuchtenden Farben einer vergangenen Zeit.
Zu der Zeit hatten Bequemlichkeit und Funktionalität eine ebenso große Rolle gespielt wie Luxus; Vergnügen und Freude waren als Teil des alltäglichen Lebens angesehen worden. Lustbetont, aber warm und sehr lebendig.
Wie die Dame mit den strahlenden Augen, die sich gerade von dem Polsterstuhl in der Nähe des Kamins erhob. Sie kam zu ihnen, freundlich lächelnd und mit ausgestreckten Händen.
»Meine liebe Mrs. Carrington - Alicia - ich darf Sie doch Alicia nennen, ja? Ich bin Miranda, wie Tony Ihnen zweifellos schon verraten hat. Willkommen in Torrington House - möge Ihre Zeit hier lange und glücklich sein.«
Mirandas Lächeln war einnehmend; Lachen lauerte in ihren blauen Augen. Alicia reichte ihr beide Hände, erwiderte ihr Lächeln.
»Vielen Dank. Ich hoffe, mit unserem Einfallen hier machen wir Ihnen nicht zu viele Umstände.«
»Oh, ich werde davon keinesfalls betroffen sein, und ich bezweifle ernsthaft, dass irgendjemand Hungerford Umstände machen kann - er ist so wunderbar effizient. Die ganze Dienerschaft ist das.« Miranda sah Tony an.
»Du darfst dich entfernen - wir möchten uns in Ruhe unterhalten, und das geht viel leichter, wenn du nicht dabei bist. Ich bringe Alicia dann zu Mrs. Swithins, das heißt, du bist von deinen häuslichen Pflichten entbunden.«
Alicia musste sich ein Lachen verkneifen. Sie blickte zu Tony, sah Verdruss in seinen Augen aufflackern, während er Miranda scharf von der Seite ansah, dann wandte er sich an sie.
»Ich werde dann die Kutsche in die Waverton Street schicken, um deine Familie abzuholen.«
Sie lächelte.
»Danke.«
Er zögerte, dann nickte er und ging mit sichtlichem Widerstreben.
»Gut!« Miranda drehte sich zu ihr um; ihre Miene zeigte sowohl Neugier als auch Entzücken.
»Und jetzt müssen Sie mir alles über Ihre Familie erzählen - Tony hat mir nur gesagt, sie hätten eine Schwester und drei Brüder.« Mit einer ausholenden Handbewegung deutete sie auf die verschiedenen Sitzgelegenheiten, während sie sich wieder auf ihren Platz sinken ließ.
Alicia entschied sich für einen samtbezogenen Lehnstuhl und spürte, wie ein herrliches Gefühl von Sicherheit sie erreichte und umfing. Sie erwiderte Mirandas erwartungsvollen Blick und lächelte, ordnete ihre Gedanken.
Als Hungerford das Teetablett brachte und sie und Miranda gemeinsam eine Kanne Tee geleert hatten, waren sie von Bekannten zu Freundinnen geworden und hatten festgestellt, dass sie viel gemein hatten. Von Alicias ja nur vorgeschobener Witwenschaft abgesehen, teilten sie viele Interessen: ihre Familien, das Landleben, die Führung eines Haushaltes und die gesellschaftlichen Zwänge.
Miranda ließ ihre beiden Töchter holen; die Mädchen kamen und knicksten, dann erkundigten sie sich neugierig, aber höflich nach Alicias Brüdern. Alicia antwortete und seufzte insgeheim erleichtert auf. Die beiden waren wohlerzogene, nette junge Mädchen, aber in keiner Weise langweilig, zimperlich oder schwächlich. Sie würden es ihren Brüdern nicht zu leicht machen.
Dann war es an der Zeit, Mrs. Swithins kennenzulernen und sich die Zimmer für ihre Familie anzuschauen, ehe
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