Ein verführerischer Schuft
Zweifel erhaben. Obwohl Hendon mit Schifffahrt zu tun hatte, hat er Ruskin nie kennengelernt - und ja, ich habe das überprüft. Die letzten paar Jahre haben Hendon und Smeaton zurückgezogen in Norfolk gelebt, und ihre einzigen Verbindungen zur Hauptstadt sind entweder rein kommerziell oder rein gesellschaftlich. Keiner stellt eine Bedrohung für Sie dar - und wenn ich mich nicht sehr täusche, weiß sonst niemand von Whitleys Leuten, wer Antoine Balzac in Wahrheit war.«
Tony nickte. Antoine Balzac füllte den Großteil seiner Vergangenheit aus.
»Außerdem haben Sie die Leiche gefunden.« Dalziel erwiderte seinen Blick.
»Sie sind die perfekte auf der Hand liegende Wahl.«
Tony schnitt eine Grimasse und schaute tief in sein Glas. Es schien ihm, als ob die Vergangenheit nach ihm griff, versuchte, ihn zurückzuziehen; er wollte aber nicht wieder in diese Richtung. Doch alles, was Dalziel sagte, entsprach der Wahrheit; er war offenbar der beste Kandidat … Und Alicia Carrington war wenigstens am Rande involviert.
Sie war nicht Teil seiner Vergangenheit.
»In Ordnung.« Er schaute hoch.
»Ich werde mich mal ein wenig umhören und sehen, welche Verbindungen ich aufspüren kann.«
Dalziel nickte und setzte sein Glas ab.
»Ruskin hatte sein Büro in der Hauptabteilung der Zoll- und Finanzbehörde in Whitehall.« Er nannte ein paar Details zu dem Gebäude, dem Stockwerk und dem Zimmer selbst.
»Ich habe vorgeschlagen, seine Papiere, ja alles in seinem Büro so zu belassen, wie es war. Ich denke, das ist geschehen. Natürlich habe ich nicht nach Genehmigungen gefragt. Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie welche benötigen.«
Tonys Lippen verzogen sich. Er senkte den Kopf. Sie beide wussten, dass Tony keine Genehmigung brauchte. Er war zu lange inoffizieller Agent gewesen.
»Ruskin hat in einer Wohnung in der Bury Street gewohnt - Nummer 23. Sein Landhaus Crawton Hall ist in der Nähe von Bledington in Gloucestershire, dicht an der Grenze von North Oxfordshire, südwestlich von Chipping Norton, der nächsten Stadt.«
Tony runzelte die Stirn, aber mit der Geografie Englands kannte er sich nicht annähernd so gut aus wie mit der Frankreichs.
»Ruskins Mutter lebt noch, außerdem hat er eine ältere Schwester, die unverheiratet ist. Sie wohnen auf Crawton Hall und sind seit Jahrzehnten nicht nach London gereist. Ruskin hat nur wenig Zeit in den vergangenen Jahren dort bei ihnen verbracht. Das wäre alles, was wir bislang über ihn wissen.«
»Irgendwelche seltsamen Gewohnheiten?«
»Keine, von denen wir erfahren haben - das herauszufinden überlassen wir Ihnen. Es liegt auf der Hand, dass keine offizielle Untersuchung durchgeführt werden kann.«
»Was ist mit der Todesursache - gibt es Neuigkeiten vom Leichenbeschauer?«
»Ich habe Pringle hinzugezogen. Ihm zufolge wurde Ruskin mit dem Stiletto erstochen, das Sie gefunden haben. Es wurde ihm sehr professionell zwischen die Rippen gestoßen. Winkel und Eintrittsstelle deuten auf einen rechtshändigen Mörder hin, der links seitlich und ein Stück hinter ihm stand.«
Sie konnten sich beide bildlich vorstellen, wie die Tat ausgeführt worden war.
»Gut.« Tony trank einen Schluck.
»Ein Freund also.«
»Jedenfalls jemand, von dem er nicht erwartete, ermordet zu werden.«
Wie beispielsweise eine Dame in einem blassgrünen Seidenkleid.
Tony schaute auf.
»Hat Pringle Vermutungen über den Mörder geäußert - Größe, Kraft oder Ähnliches?«
Dalziels Augen, die auf sein Gesicht gerichtet waren, wurden schmal.
»Hat er. Ein Mann, der mit Gewissheit etwa so groß wie Ruskin war und zudem über einige Kraft verfügte.«
»Wie groß war Ruskin?«
»Etwas kleiner als ich. Etwa einen halben Kopf kleiner als Sie.«
Tony kaschierte seine Erleichterung mit einer Grimasse.
»Das ist keine große Hilfe. Sonst irgendwelche Hinweise?«
»Nein.« Dalziel stand mit einer fließenden Bewegung auf.
Tony tat es ihm nach, aber mit noch mehr unbewusster Eleganz.
Dalziel verkniff sich ein Grinsen und ging ihm voraus zur Haustür.
»Lassen Sie mich wissen, was Sie herausbekommen. Wenn ich etwas Hilfreiches höre, benachrichtige ich Sie.«
Er machte eine Pause, als sie die Tür erreichten, und suchte Tonys Blick.
»Wenn ich etwas habe, wohin soll ich es schicken?«
Tony dachte kurz nach, dann antwortete er:
»Hierher. An den Dienstboteneingang auf der Rückseite. Mein Butler ist vertrauenswürdig, und die Leute sind seit Jahren bei mir.«
Dalziel nickte. Sie
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