Ein verfuehrerischer Tanz
brannte darauf, Spencers Allerheiligstes aus der Nähe zu betrachten. Solch einen großen, imposanten Pferdestall hatte Amelia noch nie gesehen.
Ein paar Stallburschen lungerten im Eingang herum und schwatzten. Sie bemerkten Amelia nicht einmal, als sie am Haupttor vorbeihuschte und sich durch die Dunkelheit zu einer Seite des Gebäudes durchschlug. Scheunen und Ställe hatten immer mehrere Eingänge. Bald entdeckte sie eine Tür. Sie schlüpfte hinein und schaute sich in der dämmrigen, peinlich aufgeräumten Sattelkammer um. Der Geruch von Sattelleder und Pferdeschweiß vermischte sich mit dem Duft von frischem Heu. Amelia presste die Hände vor den Mund, weil sie kräftig niesen musste.
Gebannt lauschte sie in die Stille. Hatte sie jemand gehört? Kam jemand? Nein, Gott sei Dank. Aber sie vernahm ein besänftigendes Murmeln.
Leise schlich sie durch die Sattelkammer in den Stall, der aus einem langen Gang mit Boxen bestand. Ein Pferd schnaubte, als sie sich der leisen Stimme und einem flackernden Licht am anderen Ende näherte. An der letzten Box blieb sie außerhalb des milchigen Lichtkegels einer einsame Kutschenlampe stehen. Vorsichtig spähte sie um den Holzpfosten.
Sie blickte in einen größeren Raum, in dem die Pferde offenbar geputzt wurden. Spencer rieb ein edles dunkles Tier trocken. Mucksmäuschenstill beobachtete Amelia die beiden, während sie den Holzpfosten umklammerte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Spencer hatte das Pferd von Sattel und Zaumzeug befreit und nur mit einem Halfter an einem Eisenring festgemacht. Ihr Mann trug ein Hemd mit offenem Kragen, kniehohe Reitstiefel und eine eng sitzende Reithose aus Wildleder. Schweißperlen glänzten auf den schwarzen Pferdeflanken und in Spencers dunklen gelockten Nackenhaaren. Die Innenseiten seiner Reithose waren ebenfalls dunkel vom Schweiß. Der Anblick löste bei Amelia eigenartige Regungen aus, und zwar an vergleichbaren Stellen ihres Körpers.
Das Pferd wieherte leise, während Spencer ihm mit einem Lappen behutsam Rücken und Schenkel trocken rieb. Leise sprach er auf das Tier ein. Amelia konnte seine Worte nicht verstehen, aber sie klangen sanft. Zärtlich.
»Ganz ruhig«, murmelte er. Er stellte sich vor das Tier und wischte ihm vorsichtig über Blesse und Ohren. »Einen Augenblick noch, Schätzchen.« Das Pferd schnaubte, und Spencer lachte gutmütig auf, sodass Amelia ein wohliger Schauer über den Rücken lief.
Er hängte das Tuch an einen Haken und kratzte die Pferdehufe aus. Mit sanfter Stimme bat er das Pferd, den jeweiligen Huf zu heben, und legte eine Engelsgeduld an den Tag, die er bei Menschen nicht aufbrachte.
Amelias Herz verkrampfte sich. Auf einmal entdeckte sie eine völlig neue Seite an ihm – sanftmütig, behutsam, verständnisvoll –, wie sie es ihm niemals zugetraut hätte. Aufgewachsen mit fünf Brüdern wusste sie, dass es Männern leichter fiel, Tieren gegenüber Gefühle zu zeigen. Weder bei dem Begräbnis ihrer Mutter noch ihres Vaters hatte Laurent sich zu einem Gefühlsausbruch hinreißen lassen, aber als sein Schäferhund mit vierzehn Jahren gestorben war, hatte er geweint wie ein Kind.
Spencer kümmerte sich mit so viel Geduld und Hingabe um dieses Pferd, dass es Amelia in ihrem Glauben bestärkte: Dieser Kerl konnte sein, wie er wollte, aber er war kein Mörder. Tief in ihrem Herzen wusste sie das schon seit ihrer Hochzeit.
»Wir sind gleich fertig, mein Schatz.«
Er nahm einen Striegel und fuhr damit sanft über den Rücken des Pferdes, bürstete ihm den Staub aus der Mähne. Amelias Magen krampfte sich schmerzvoll zusammen. Bei dem Herzog hatten Pferde oberste Priorität, Menschen kamen erst an zweiter Stelle. Aufgrund dieser anrührenden Szene sah Amelia Spencer plötzlich in einem ganz anderen Licht. Dieser Mann war zu echter Zärtlichkeit und Zuwendung fähig, konnte – oder wollte – seine Gefühle Amelia gegenüber jedoch nicht zeigen.
Für gewöhnlich wurden Ehefrauen verbittert, wenn ihre Männer sich in fremden Betten herumtrieben. Amelia wähnte sich dagegen künftig als eifersüchtige Furie, weil ihr Mann sich lieber in Pferdeställen herumtrieb. Es war zum Heulen!
Sie musste verschwinden, und zwar sofort. Ehe er fertig war. Warum spionierst du mir nach? Wieso weinst du überhaupt? Es fehlte gerade noch, dass er sie erwischte und dumme Fragen stellte. So geräuschlos wie möglich trat sie den Rückzug an und schlich mit unsicheren Schritten durch den dunklen Stall. Doch ihre
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