Ein verfuehrerischer Tanz
ein viel beschäftigter Mann, der mit Sicherheit keinen Gedanken an seine bessere Hälfte verschwendete.
Amelia war ebenfalls nicht untätig. Sie stellte sich sämtlichen Angestellten vor und machte sich mit den Räumlichkeiten von Braxton Hall vertraut. Die Gärten wollte sie sich tags darauf anschauen. Während ihres Rundgangs mit Mrs. Bodkin beschloss sie, diverse Veränderungen vorzunehmen. Einiges musste instand gesetzt oder renoviert, das eine oder andere Möbelstück ausgemustert werden. Nach fünfzehn Jahren ohne Hausherrin war das Haus zwar noch gut in Schuss, aber die Einrichtung bedurfte dringend einer Modernisierung. Wenigstens die Küche und die Salons, denn Claudias und Spencers Privatsphäre mochte sie erst einmal nicht antasten.
Den ganzen Tag bis in die späten Abendstunden war sie beschäftigt und letztlich froh, dass Spencer noch nicht zurückgekehrt war und Claudia sich mit Törtchen zufriedengab, denn sie hatte keine Zeit gefunden, mit der Köchin das Dinner abzusprechen. Bei einem kalten Abendessen mit Mrs. Bodkin besprachen sie die Modernisierung der Küche. Danach putzten sie das Silber, und der ganze Esstisch war nach und nach mit blankpolierten Gabeln, Löffeln, Messern, Zuckerzangen und Tortenhebern bedeckt.
Als die große Standuhr zwölf Mal schlug, klirrte das feine Besteck.
Erschrocken sah Amelia auf. Draußen war lauter Hufschlag zu hören.
»Das wird Seine Hoheit sein«, erklärte die Haushälterin, mühsam ein Gähnen unterdrückend.
Spencer. Amelias Herz hämmerte wie wild gegen ihre Rippen. Bis zu diesem Moment hatte sie gar nicht gemerkt, wie sehr sie seiner Rückkehr entgegenfieberte. Aber im Grunde hatte sie den ganzen Tag auf ihn gewartet, jede Sekunde an ihn gedacht. Um sich abzulenken, hatte sie geschuftet und sich keine ruhige Minute gegönnt. Wäre sie sonst noch auf und würde um Mitternacht Silber putzen? Und der armen Mrs. Bodkin fielen fast die Augen zu vor lauter Müdigkeit.
»Sie können gehen«, sagte sie zu der Haushälterin. »Wir machen morgen früh weiter. Tausend Dank für Ihre Hilfe.«
Amelia ging eilig aus dem Zimmer, strich sich ein paar widerspenstige Haarsträhnen aus der Stirn und glättete ihr Kleid. Wie viel Zeit hatte sie noch, bevor Spencer auftauchte? Wahrscheinlich gab er sein Pferd in die Obhut eines Stallburschen und kam dann ins Haus. Im Flur blieb sie stehen, inspizierte ihr Äußeres in der spiegelnden Glasfront der Standuhr und konnte in dem dämmrigen Licht nicht viel erkennen. Sie sah ganz passabel aus. Dann ging sie in die Eingangshalle und wartete.
Die Minuten verstrichen und nichts geschah. War Spencer durch einen anderen Eingang ins Haus gekommen? Vielleicht durch die Küche … nach einem langen Ritt hatte er doch bestimmt Hunger.
Sie ging zum rückwärtigen Eingang und überquerte eine schmale Galerie, die das Haupthaus mit dem Dienstbotentrakt verband. Der mit Marmorfliesen ausgekleidete Durchgang hatte an beiden Seiten Fenster, und es war empfindlich kühl. Amelia schlang die Arme um ihren Oberkörper und ging schneller. Mist, sie hätte besser oben auf Spencer gewartet. Aber wo? In ihrem oder seinem Schlafzimmer? Nein, sie wollte ihn auf neutralem Boden treffen, ihm gelassen gegenübertreten.
Schritt eins: eine gefasste, leidenschaftslose Erklärung: »Hoheit, ich danke dir für deine Geduld. Ich bin jetzt bereit, die Ehe zu vollziehen.«
Schritt zwei: hinlegen, Beine breit machen und an Briarbank denken.
Als in einem der dunklen Galeriefenster das Licht einer Fackel aufblitzte, ging sie hinüber und spähte in die Dunkelheit. Sie erkannte einen gekiesten, von Laternen gesäumten Weg, an dessen einem Ende ein langgestrecktes Wirtschaftsgebäude mit einem schindelgedeckten Walmdach lag. In dem hell erleuchteten Gebäude erblickte Amelia mehrere Männer. Vermutlich die Remise und die Stallungen. Vielleicht hatte Spencer sein Pferd selbst abgesattelt.
Ihren Blick weiter angestrengt in die Dunkelheit gerichtet, ging Amelia vorsichtig weiter. Am Ende des Ganges war eine verglaste Tür. Sie probierte an dem Schlüsselbund, den sie mitgenommen hatte, jeden Schlüssel, bis einer passte. Leise knarrend sprang die Tür auf, und Amelia trat ins Freie.
Weil sie unbemerkt bleiben wollte, mied sie den Kiesweg und überquerte den Rasen. Das Gras war feucht und musste dringend gemäht werden. Die langen Halme streiften kühl ihre nackten Knöchel. Motten schwirrten im diffusen Dämmerlicht.
Die Stallungen zogen Amelia magisch an. Sie
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