Ein verhängnisvolles Versprechen
so?«
»Ganz okay«, sagte Myron.
Myron erwartete, dass es Streit gab, aber Erik verschwand einfach wieder in der Küche.
»Er ist verrückt«, sagte Davis.
»Sie haben doch auch zwei Töchter, oder?«
»Ja.« Dann nickte er, als hätte er es plötzlich verstanden.
»Das ist reine Zeitverschwendung, Harry. Ihr Fuß blutet. Sie müssen zum Arzt.«
»Das interessiert mich nicht.«
»Wir sind schon ganz schön weit. Bringen wir’s hinter uns. Wo ist Aimee?«
»Ich weiß es nicht.«
»Was wollte sie hier?«
Er schloss die Augen.
»Harry?«
Er sprach leise. »Gott möge mir vergeben, aber ich weiß es nicht.«
»Würden Sie mir das erklären?«
»Sie hat geklopft. Es war furchtbar spät. Zwei oder drei Uhr nachts. Ich weiß es nicht genau. Donna und ich haben geschlafen. Sie hat uns zu Tode erschreckt. Wir sind zum Fenster gegangen. Wir haben sie beide gesehen. Ich habe mich zu meiner Frau umgedreht. Sie hätten ihre Miene sehen müssen. Sie war so
verletzt. Das ganze Misstrauen, das ich ihr auszureden versucht hatte, brach sofort wieder auf. Sie hat angefangen zu weinen.«
»Und was haben Sie dann getan?«
»Ich habe Aimee weggeschickt.«
Schweigen.
»Ich hab das Fenster aufgemacht. Hab ihr gesagt, dass es spät ist und dass ich am Montag mit ihr rede.«
»Was hat Aimee gemacht?«
»Sie hat mich nur angestarrt. Sie hat kein Wort gesagt. Ich habe ihr die Enttäuschung angesehen.« Davis presste die Augenlider zusammen. »Aber ich hatte auch Angst, dass sie wütend sein könnte.«
»Sie ist dann einfach gegangen?«
»Ja.«
»Und jetzt wird sie vermisst«, sagte Myron. »Bevor sie irgendjemand davon berichten konnte, was sie entdeckt hat. Bevor sie Sie zerstören konnte. Und wenn der Zeugnisbetrug aufgedeckt wird, passiert das, was ich Ihnen bei unserem ersten Gespräch schon gesagt habe. Sie sind erledigt. Es kommt alles raus.«
»Ich weiß. Das habe ich auch gedacht.«
Er brach ab. Tränen liefen über seine Wangen.
»Was ist?«
»Mein dritter großer Fehler«, sagte er leise.
Myron lief ein Schauer über den Rücken. »Was haben Sie getan?«
»Ich habe ihr nichts getan. Das ist mir nicht mal in den Sinn gekommen. Ich mochte sie.«
»Was haben Sie getan, Harry?«
»Ich war verwirrt. Ich wusste nicht, woran ich war. Also hab ich es mit der Angst zu tun gekriegt, als sie da draußen stand. Ich wusste, was das bedeuten konnte – wie Sie schon sagten. Alles könnte rauskommen. Alles. Da bin ich in Panik geraten.«
»Was haben Sie getan?«, wiederholte Myron.
»Ich habe jemanden angerufen. Gleich nachdem sie weg war.
Ich habe jemanden angerufen, von dem ich dachte, dass er mit der Situation umgehen kann.«
»Wen haben Sie angerufen, Harry?«
»Jake Wolf«, sagte er. »Ich habe Jake Wolf angerufen und ihm gesagt, dass Aimee Biel bei mir vor der Tür steht.«
49
Als sie aus dem Haus liefen, kam Claire ihnen entgegen.
»Was war da drinnen los?«
Erik ließ sich nicht aufhalten. »Fahr nach Hause, Claire. Falls Aimee anruft.«
Claire sah Myron an, als wollte sie ihn um Hilfe bitten. Myron bot ihr keine an. Erik saß auf dem Fahrersitz, buchstäblich, aber auch im übertragenen Sinn. Myron sprang schnell auf den Beifahrersitz, bevor Erik losfahren konnte.
»Kennst du den Weg zu den Wolfs?«, fragte Myron.
»Ich habe meine Tochter da oft genug hingefahren.«
Er gab Gas. Myron sah ihn von der Seite an. Normalerweise drückte Eriks Miene vor allem Geringschätzung aus. Er runzelte die Augenbrauen und legte die Stirn in missbilligende Falten. Davon war jetzt nichts zu sehen. Sein Gesicht war glatt und ruhig. Myron hatte fast den Eindruck, er wolle gleich das Radio anstellen und mitpfeifen.
»Die werden dich verhaften«, sagte Myron.
»Das glaub ich nicht.«
»Du denkst, dass Davis nichts sagt?«
»Wahrscheinlich.«
»Das Krankenhaus muss die Schussverletzung melden.«
Erik zuckte die Achseln. »Selbst wenn einer von den beiden redet, was sollen sie schon sagen? Ich habe das Recht, vor eine Jury aus Personen meiner gesellschaftlichen Gruppe gestellt zu werden. Das heißt, es sind auf jeden Fall ein paar Eltern mit Kindern
im Teenageralter drin. Ich gehe in den Zeugenstand. Ich erzähle ihnen von meiner vermissten Tochter, und dass mein Opfer ein Lehrer ist, der eine Schülerin verführt und außerdem Geld für das Fälschen von Abschlusszeugnissen genommen hat …«
Seine Stimme erstarb, als wäre das Urteil zu eindeutig, um überhaupt noch erwähnt werden zu müssen. Myron wusste
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