Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein verhängnisvolles Versprechen

Ein verhängnisvolles Versprechen

Titel: Ein verhängnisvolles Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
Vom Netzwerk:
hatten. Beim Erwerb beispiellosen Reichtums spielte Genie sowieso fast keine Rolle. Es konnte sogar stören. Wenn man klug genug war, die Risiken zu erkennen, war man womöglich versucht, sie zu meiden. Und solches Denken – Sicherheitsdenken  – hatte noch nie zu großem Wohlstand geführt.
    Win war als Sprössling des feinen Hauptzweigs der Familie in Philadelphia aufgewachsen. Seine Familie hatte die Börse mitbegründet und war seitdem ununterbrochen im Vorstand vertreten. Einer seiner direkten Vorfahren war der erste Finanzminister des Landes gewesen. Win war nicht nur mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden – ihm lag ein ganzes Goldservice zu Füßen.
    Und genauso sah er auch aus.
    Das war sein Problem gewesen. Schon seit seiner frühesten Kindheit hatten die Leute Win mit seinen flachsblonden Haaren, der rötlichen Haut und dem feinen, von Natur aus mit einem blasierten Ausdruck versehenen Gesicht schon auf den ersten Blick verabscheut. Wenn man Win Horne Lockwood III ansah, sah man Elitendenken, nicht selbst erarbeiteten Wohlstand und einen Menschen, der mit seinem hoch erhobenen Porzellanpüppchen-Näschen durch die Welt zog und auf seine Umgebung herabblickte. Und so brauchte man diesen privilegierten und scheinbar verzärtelten Jüngling nur anzusehen, und schon wurde man von einer Woge aus Neid und Missgunst erfasst.
    Das hatte zu unschönen Vorfällen geführt.
    Im Alter von zehn Jahren hatte Win im Zoo von Philadelphia seine Mutter aus den Augen verloren. Eine Schülergruppe aus
der Innenstadt hatte den Jungen in seinem kleinen blauen Blazer mit dem Wappen auf der Brusttasche entdeckt und heftig verprügelt. Er musste ins Krankenhaus und hätte beinah eine Niere verloren. Die Schmerzen waren schlimm. Die Scham, ein furchtsamer, kleiner Junge zu sein, war viel schlimmer.
    So etwas wollte Win nie wieder erleben.
    Win wusste, dass Menschen aufgrund von Äußerlichkeiten spontane Urteile über andere Menschen fällten. Das war keine ganz neue Erkenntnis. Dazu kamen natürlich klar definierte Vorurteile gegen Schwarze, Juden und viele andere Minderheiten. Win interessierte sich allerdings mehr für die gewöhnlichen Vorurteile. Wenn man zum Beispiel eine übergewichtige Frau sieht, die einen Doughnut isst, findet man das abstoßend. Man fällt ein Spontanurteil – die Frau ist undiszipliniert, faul, liederlich, wahrscheinlich dumm und ungebildet, und sie hat offenbar nur ein geringes Selbstwertgefühl.
    Eigenartigerweise geschah oft genau dasselbe, wenn jemand Win sah.
    Er hatte die Wahl gehabt. Er hätte sich hinter die dichten Hecken um die Familiengrundstücke zurückziehen, sich im Kokon der Privilegien einspinnen und ein sicheres, wenn auch verängstigtes Leben führen können – oder etwas dagegen unternehmen.
    Er hatte sich für das Letztere entschieden.
    Geld machte alles leichter. Eigenartigerweise sah Win in Myron einen Batman im richtigen Leben, obwohl der maskierte Rächer als Kind sein eigenes Leitbild gewesen war. Bruce Waynes einzige Superkraft war sein unermesslicher Reichtum, den er nutzte, um sich zum Kämpfer gegen das Verbrechen ausbilden zu lassen. Win war seinem Beispiel gefolgt. Er hatte ehemalige Delta-Force- und Green-Berets-Ausbilder als Trainer eingestellt. Dazu die besten Lehrer für den Umgang mit Schusswaffen, Messern und im waffenlosen Kampf. Er hatte sich die Dienste mehrerer Kampfkunst-Meister aus unterschiedlichen Ländern gesichert
und sie aufs Familiengrundstück in Bryn Mawr einfliegen lassen, oder er war selbst ins Ausland gereist. Er hatte ein ganzes Jahr in der Einsiedelei eines Kampfkunst-Meisters hoch oben im südkoreanischen Bergland verbracht. Er hatte gelernt, wie man Menschen Schmerzen zufügt, ohne dabei Spuren zu hinterlassen. Er hatte gelernt, wie man Leute einschüchtert. Er hatte alles über Elektronik, Schlösser, die Unterwelt und Sicherheitsanlagen gelernt.
    Alles hatte sich perfekt ergänzt. Win hatte jede neue Technik wie ein Schwamm aufgesogen. Er hatte hart gearbeitet – extrem hart – und mindestens fünf Stunden am Tag trainiert. Seine Hände waren schon von Natur aus schnell gewesen. Diese Grundvoraussetzung wurde ergänzt durch seinen Hunger, sein Verlangen, sein Arbeitsethos und seine menschliche Kälte. Er hatte alles, was man brauchte.
    Mit der Zeit verschwand die Angst.
    Als seine Ausbildung weit genug fortgeschritten war, hatte Win angefangen, sich in den drogenverseuchtesten und gefährlichsten Vierteln der Stadt

Weitere Kostenlose Bücher