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Ein verruchter Lord

Ein verruchter Lord

Titel: Ein verruchter Lord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celeste Bradley
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nach unten. Auch in diesem Stockwerk war alles ruhig. Offenbar war es am Nachmittag ebenso ungefährlich, das Haus zu erkunden, wie um Mitternacht. Durchaus möglich, dass die meisten der betagten Herren um diese Zeit einen Mittagsschlaf hielten.
    Laurel atmete tief durch.
    Zwar hatte Jack ihr erzählt, dass seine Räume direkt unter Melodys Kinderzimmer lagen, doch die Orientierung fiel ihr nicht ganz leicht. Die erste Tür, die sie öffnete führte in einen offenbar derzeit nicht genutzten Raum. Die Möbel waren mit Tüchern gegen den Staub geschützt, und es gab keine Teppiche. Im zweiten Zimmer sah es ähnlich aus, nur dass hier zudem die Matratze auf dem geschnitzten Holzbett fehlte.
    » Jack, du Dieb « , murmelte sie.
    Sobald sie die dritte Tür geöffnet hatte, wusste sie, dass sie sich in seinem Zimmer befand. Nicht weil es voller Besitztümer gewesen wäre, die auf ihn hindeuteten – nein, auch dieses Zimmer war geplündert worden wie die ersten beiden. Sie spürte es einfach, als sie die Luft einatmete.
    Langsam ging sie durch den Raum. Er las immer noch gerne, wie seine große Büchersammlung bezeugte. Dann gab es seltsame exotische Dinge – Muscheln und fremdländische Münzen und geschnitzte Tierfiguren. Ein riesiger dreieckiger Zahn stellte sie vor ein Rätsel, ebenso eine Kugel aus geblasenem Glas, die in eine Art Fischernetz gewickelt war. Rechteckige, glatte Elfenbeinstücke waren mit merkwürdigen, fremdartigen Symbolen verziert. Ein Zahlungsmittel oder Spielsteine?
    Er musste eine Menge gesehen haben. All diese fernen Länder, all diese faszinierend andersartigen Völker! Sie war gleichermaßen neidisch wie neugierig und fragte sich, ob er das Geschenk solcher Freiheit wirklich zu würdigen wusste. Begriff er, um wie viel reicher sein Leben gewesen war als ihres? Oder war er zu sehr von seinem eigenen Kummer gefangen, um das Positive überhaupt zu sehen?
    Als sie an einem der Regale entlangging, blieb ihr Blick auf einem Buchrücken hängen. Childe Harold. Sie hatte ihm einmal eine Ausgabe geschenkt. Bloß so zum Spaß. Er hatte gelacht und gesagt, er werde es für immer behalten – sie hatte ihm kein Wort geglaubt. Jetzt nahm sie das Buch aus dem Regal und schlug den Deckel auf. Eine Widmung stand auf dem Titelblatt.
    Für Jack von Bramble. Wenn du aufhörst, deine Lippen zu bewegen, kannst du viel schneller lesen.
    Sie kam sich damals so schlau vor und war dabei bloß ein unwissendes Kind. Jack jedoch hatte laut gelacht und sie am Zopf gezogen. » Ich werde auf dich zurückkommen, wenn ich Hilfe bei den schwierigen Wörtern brauche, ja? «
    Eigentlich war sie in dieses Zimmer gekommen, um irgendetwas zu entdecken, das sich gegen ihn verwenden ließ. Erpressung nicht ausgeschlossen. Auf irgendeine Weise musste sie ihn schließlich dazu bringen, ihr Melody zu überlassen. Aber jetzt, wo sie ihn förmlich spüren konnte, schossen ihr ganz andere Gedanken durch den Kopf, und sie tauchte ein in Erinnerungen an früher.
    Der lachende, spöttelnde und so attraktive Jack mit den warmen, dunklen Augen und dem Lächeln, bei dem ihre Knie weich wurden. Nachts hatte sie sich in ruhelosen Träumen gewälzt und tagsüber die Begegnung mit ihm gesucht, wenn er mal wieder ihrer Schwester seine Aufwartung machte. Dabei war sie sich durchaus im Klaren, dass Jack sie nie beachtet hätte, wenn ihm die Art ihrer Gefühle für ihn bewusst gewesen wäre. Himmel, sie stellte ihn sich damals sogar nackt vor!
    Er sah in ihr seine zukünftige Schwägerin, ein nettes Mädchen allenfalls. Sie waren Freunde, mehr nicht, und sie wagte nicht daran zu rühren. Weil sie seine Freundschaft so dringend brauchte. Ihm konnte sie alles sagen, was ihr gerade durch den Kopf ging – egal, wie seltsam es scheinen mochte. Sie hatte den Eindruck, dass Jack selbst die merkwürdigsten Dinge verstand. Er als Einziger.
    Von Amaryllis waren gelegentlich bissige Kommentare zu hören gewesen. Obwohl sie die kleine Schwester nicht als Konkurrenz betrachtete, missfiel es ihr, wenn einer ihrer Verehrer Laurel überhaupt Aufmerksamkeit schenkte. Wer sich so gerne mit dummen Kindern abgebe wie Jack, werde bestimmt eines Tages ein guter Vater werden, spottete die Ältere. Ein leises Lächeln stahl sich bei dieser Erinnerung auf Laurels Lippen. Wenn Amaryllis geahnt hätte, wie prophetisch ihre Worte waren …
    Dann musste Jack in den Krieg und kam völlig verändert zurück. Alle fanden, zu seinem Nachteil – Laurel sah das anders. Amaryllis

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