Ein verruchter Lord
tiefe Dankbarkeit. Er hatte nicht gezögert, sich zwischen ihr Kind und die tödliche Bedrohung zu werfen und sein Leben für ihres aufs Spiel zu setzen.
Laurel trat ein Stück vom Fenster zurück, presste die Hand auf ihre Brust. Ihr war schlecht und schwindelig von der Angst, die jetzt zwar grundlos, aber noch nicht überwunden war. Sie beobachtete, wie Jack zu Melody ging und sich vor ihr auf ein Knie niederließ, ihr Kinn umfasste und ernst auf sie einredete. Offenbar nicht sonderlich streng, denn sie weinte weder, noch verzog sie gekränkt das Gesicht. Sie nickte bloß, und als Jack sie an sich zog, schmiegte sie ihren kleinen Kopf unter sein Kinn. So verharrten sie eine ganze Weile, und Laurel spürte, wie sich bei diesem Anblick ein Kloß in ihrer Kehle bildete. Sie musste zugeben, was sie nicht hatte wahrhaben wollen: dass er ein wirklich guter Vater war. In ihrem Herzen fochten Zärtlichkeit und Furcht miteinander.
Er liebt sie.
Was zugleich bedeutete, dass er sie nie gehen lassen würde.
In der luxuriösen Kutsche hatte Melody die freie Wahl, auf wessen Schoß sie sitzen wollte. Drei Väter oder Möchtegernväter für ein einziges kleines Mädchen. Wie üblich entschied sie sich für Jack. Während sie sich in seine Wärme kuschelte und er ihren Körper fest an sich drückte, erklärte sie ihm, warum sie auf die Straße gelaufen war.
» Da war ein Junge « , sagte sie und steckte einen Finger in den Mund, den ihr Vater ihr sanft wieder herauszog.
» Du bist auf die Straße gerannt, um mit einem fremden Jungen zu sprechen? «
» Es war ein netter Junge. Wie Evan. «
» Und wie heißt der Junge? «
Melody drehte die Füße hin und her, um die neuen weißen Stiefelchen zu bewundern, die Pru ihr angezogen hatte. » Weiß nicht. « Dann wechselte sie das Thema. » Wohin fahren wir? Ich will in den Park « , rief sie und hüpfte auf Jacks Schoß auf und ab. » Fahren wir in den Park? «
Aidan lehnte sich auf seinem Sitz zurück. » Ich habe keinen Jungen gesehen – allerdings gibt es eine Menge Laufburschen auf der St. James. Vielleicht hat sie ihn vorher schon vom Fenster aus beobachtet. «
Jack ließ Melody von seinem Schoß gleiten und stellte sie auf das schwarze Samtpolster, damit sie zum Kutschenfenster hinausschauen konnte. Vorsorglich hielt er sie jedoch an ihrem Gürtel fest. Ein Unfall war mehr als genug!
Colin beobachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen. » Es war nicht deine Schuld, Jack. «
Und Aidan fügte hinzu: » Wirklich nicht! Denk das nicht einmal, Jack! Du hast sie gerettet! «
Er schaute nicht auf, hielt den Blick auf Melody gerichtet, die fröhlich lachte und sich über die Geschwindigkeit freute. » Ich habe sie beinahe umgebracht « , flüsterte er.
» Nein « , sagte Colin überzeugt. » Du hast dir nichts vorzuwerfen. Kinder laufen nun mal gerne weg, und Mellie besonders. «
Aber Jack ließ sich nicht beruhigen. Wenn ihm der Huftritt schon so zusetzte, wie wäre es dann Melody ergangen. Er durfte und wollte gar nicht daran denken und sah doch in seiner Fantasie die schrecklichen Bilder – einen kleinen Körper, der zerschlagen und zerschmettert auf dem Pflaster lag. Jack schüttelte den Kopf, als ließen sich die Gedanken vertreiben. » Ich hätte besser auf sie aufpassen müssen. «
Aidan beugte sich vor. » Du hast auf sie aufgepasst « , sagte er sanft. » Hast sogar rechtzeitig gesehen, dass sie auf die Straße wollte. «
» Nein. « Jack blickte seinen Freunden zum ersten Mal seit dem Unglück in die Augen. » Ich habe es nicht gesehen – ich habe bloß gehört … « Er wandte den Blick ab und stieß geräuschvoll den Atem aus. » Egal. Kümmern wir uns um das Naheliegende. Wir fahren zunächst zum Markt in der Nähe der Threadneedle Street. «
Colin nickte. » Da sind heute eine Menge Leute. Wenn diese Mrs. Pruitt dort irgendwo wohnt, erkennt vielleicht jemand Melody wieder. «
Aidan schaute durch das kleine quadratische Fenster. » Vielleicht. «
» Heute geht es in erster Linie darum, Informationen zu sammeln. Solche Nachforschungen brauchen schließlich ihre Zeit « , schränkte Colin ein.
Jack als Einziger schwieg. Informationen waren genau das, was er brauchte. Weil er nicht länger den Kopf in den Sand stecken, sondern sich seiner Schuld und seiner Verantwortung stellen wollte. Deshalb war es ihm wichtig zu wissen, was damals genau passierte, und er hoffte sehr, dass die Pflegemutter Auskunft geben konnte.
Sobald sich alles zu einem Bild
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