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Ein verwegener Gentleman

Ein verwegener Gentleman

Titel: Ein verwegener Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MARY BRENDAN
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Das Mädchen blickte sie mit seinen grauen Augen bewundernd an und wickelte sich eine mausfarbene Haarsträhne um den schmutzigen Finger. „Bist du mit deiner Schreibarbeit fertig, Clara?“, fragte Elizabeth lächelnd.
    „Ja, Ma’am“, erwiderte die Kleine und strich verstohlen über den blauen Wollstoff von Elizabeths ältester und unmodischster Pelisse. „Ich hätte so gerne Locken“, fügte sie schüchtern hinzu und betrachtete bewundernd Elizabeths perlmuttfarbene Korkenzieher, die unter dem schlichten Hut hervorschauten.
    „Nun mach schön deine Aufgaben, sonst wird der Reverend ärgerlich!“ Elizabeth schaute zu Hugh hinüber. Er stand am anderen Ende der Bank und hörte einem Jungen zu, der ihm mit stockender Stimme die wenigen Zeilen vorlas, die er auf seine Tafel gekritzelt hatte.
    Hugh schaute auf und lächelte ihr zu. Dann zog er seine Uhr hervor und warf einen Blick darauf. Sobald er sie wieder in der Westentasche verstaut hatte, klatschte er zum Zeichen, dass die Schulstunde zu Ende war, zweimal in die Hände, und die Kinder verließen eins nach dem andern das Lagerhaus. Als sie in den milden Herbstsonnenschein hinaustraten, begannen sie lachend miteinander zu schwatzen und zu scherzen. Schließlich blieben Hugh und Elizabeth alleine in dem kalten, schäbigen Gewürzspeicher zurück.
    „Wenn Mr. Grantham nicht so gütig wäre, uns diesen Raum zur Verfügung zu stellen, müssten wir die Schule schließen. Ich glaube nicht, dass Mutter erfreut wäre, wenn zwanzig schmutzige Kinder ihre Läuse auf den Teppichen im Pfarrhaus verteilen würden.“ Hugh lachte ein wenig beschämt über dieses Eingeständnis.
    Nachdem er das Lagerhaus abgeschlossen hatte, bot er Elizabeth galant den Arm und machte sich mit ihr auf den Weg über das unebene Kopfsteinpflaster. Bis zum Pfarrhaus hatten sie etwa zehn Minuten durch Wapping zu gehen. Von dort würde Hugh sie in seinem Einspänner zur Connaught Street zurückbringen.
    „Lady Elizabeth …? Lady Elizabeth Rowe …?“
    Elizabeth und der Reverend blieben abrupt stehen. Elizabeth machte sich los und näherte sich zögernd dem nächsten Hauseingang. Mehrere Augenpaare wandten sich ihr zu. Sie wusste, dass sie in dem Armenviertel nur deshalb sicher war, weil diese Leute ihrem Gemeindepfarrer Respekt entgegenbrachten. Doch nie zuvor hatte man sie hier direkt angesprochen.
    „Hat mich jemand gerufen?“
    Der Gestank ranzigen Essens und ungewaschener Leiber ließ sie den Atem anhalten. Sie wollte sich gerade wieder abwenden, als eine weibliche Gestalt in dem abgeblätterten Türrahmen auftauchte und sie unverwandt anstarrte. Elizabeth starrte zurück. Sie kannte die Frau!
    Sie konnte sich nur nicht mehr an den Namen zu dem abgehärmten, offenbar kürzlich misshandelten Gesicht erinnern, das unter dem glanzlosen, wirren Haar zu erkennen war.
    Die Frau lachte trocken auf, als sie Elizabeths Verwirrung bemerkte. „Du erinnerst dich wohl nicht an mich, nicht wahr? Überrascht mich nicht. Ich sehe nicht mehr so wie früher aus.“ Sie sprach kultiviert mit nur einer Spur eines Cockney-Akzentes. Dann schüttelte sie ihr wirres Haar zurück, blinzelte Elizabeth von der Seite her an und verzog den Mund zu einem Lächeln von erschütternder Arroganz. „Hier, schau doch mal richtig her. Kennste mich jetzt wieder?“, fragte sie herausfordernd in dem nasalen Tonfall dieser Gegend. „Ist kein schöner Anblick mehr, meinste nicht?“
    „Jane? Jane Dawson?“
    „So hieß ich. Hab Colonel Selby geheiratet, erinnerste dich? Hab’s gut getroffen, was?“, verhöhnte sie sich selbst. „Dabei hab ich damals gedacht, ich hätte das bessere Los von uns beiden gezogen“, sagte sie verschlagen und kicherte, als Elizabeths blasser Teint sich rosig färbte. „Aber man weiß nie, was kommt …“ Sie legte den Kopf schief, um Hugh Clemence zu mustern, der ein paar Schritte von ihnen entfernt stehen geblieben war und dem Wortwechsel lauschte. „Haste doch noch einen abbekommen? Ihn?“, fragte Jane und rümpfte die Nase. „Biste ’ne Pfarrersfrau?“
    „Nein, der Reverend und ich unterrichten zusammen in der Sonntagsschule. In der Barrow Road“, erklärte Elizabeth. Ihr wurde bewusst, dass sie Zuschauer anzogen, und so nahm sie Janes dünnen Arm und suchte mit ihr in dem Hauseingang Schutz. „Was, in aller Welt, ist passiert? Wo ist dein Gatte? Ist der Colonel tot?“, fragte Elizabeth.
    „Will verdammt sein, wenn ich das weiß“, erwiderte Jane mit einem dumpfen Lachen.

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